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Ruth Klüger


US-Germanistin erhielt Brüder-Grimm-Preis

01.11.2014 (fjh)
Den Brüder-Grimm-Preis der Philipps-Universität hat die Germanistin und Autorin Prof. Dr. Ruth Klüger am Freitag (31. Oktober) aus den Händen von Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause entgegengenommen. "In Anknüpfung an das germanistische Werk der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm würdigt die Philipps-Universität Ruth Klüger als herausragende Literaturwissenschaftlerin", sagte Krause anlässlich der Preisverleihung in der vollbesetzten Aula der Alten Universität. "Die Dichte und Konzentriertheit ihrer wissenschaftlichen Arbeit sowie die hohe literarische Qualität ihrer essayistischen und autobiographischen Schriften lässt sie zu einer der gegenwärtig bedeutendsten Intellektuellen deutscher Sprache zählen."
Der fachübergreifende Vorschlag der Jury, Klüger diesen Preis zu verleihen, hebt ihren Forschungsschwerpunkt in der Epoche der Brüder Grimm hervor. Ihr besonderes Augenmerk auf die Literaturproduktion und -rezeption von Frauen sowie auf antisemitische Tendenzen innerhalb der deutschen Literatur verliehen ihrer literaturwissenschaftlichen Arbeit eine weithin sichtbare und innovative Position, begründete die Jury.
Nach einem Grußwort von Ministerialrat Reinhard Schinke vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst (HMWK) beschrieb Prof. Dr. Karl Braun vom Institut für Europäische Ethnologie Klügers Werdegang. 1931 wurde sie in Wien geboren. Heute zählt Klüger zu den bekanntesten Germanistinnen in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA).
Sie lehrte Germanistik an der University of Virginia in Princeton sowie an der University of California in Irvine. Außerdem war sie Herausgeberin der Literaturzeitschrift "German Quarterly".
Zugleich hat sie sich als Schriftstellerin einen Namen gemacht. Ihre 1992 erschienene Autobiographie "weiter leben", in der sie ihre Kindheit und Jugend in Wien und in den Lagern Theresienstadt, Auschwitz und Christianstadt beschreibt, zählt zu den prominentesten und anerkanntesten Werken der "Zeugen-Literatur" des Genozids am europäischen Judentum. Das Buch wurde in zehn Sprachen übersetzt.
Klüger ist vielfach mit Preisen geehrt und ausgezeichnet worden. Unter anderem erhielt sie 2008 die Hermann-Cohen-Medaille und das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse.
"Ruth Klüger schreibt leidenschaftliche Texte", sagte Braun. Eindrücklich beschrieb er den "Terror verletzender Ausgrenzung im Umfeld Grimmscher Märchen", den die damals Achtjährige Klüger in einem Kino im Wien der späten 30er JJahre erlebte, zu dem ihr als Jüdin der Zutritt eigentlich verboten war.
während der ganzen Vorstellung von "Schneewittchen" fürchtete sie, entdeckt zu werden. "Das Märchen von Schneewittchen lässt sich auf die Frage reduzieren, wer im Königsschloss etwas zu suchen hat und wer nicht", zitierte Braun die Autorin. Diese Erfahrung, wer im Königsschloss oder im Kino etwas zu suchen habe und wer nicht, präge ihren Blick auf die Literatur.
In seiner Laudatio charakterisierte Prof. Dr. Heinrich Detering die "Wörterlust und Zauberkunst", die das Schaffen der Preisträgerin bestimmten und mit deren Hilfe sie ihre Fachkollegen, Zuhörer und Leser gleichermaßen regelrecht verhexe. "Ruth Klüger hat einen Rang inne in der internationalen Germanistik als Forscherin und Lehrerin, als charismatische und streitbare Vermittlerin deutscher Literatur", erklärte er.
Zum Widerspruch zu reizen, sei das Motto ihres akademischen Alltags. "Ihre Streitlust ist Einladung zur Erwiderung; ich spreche da aus Erfahrung", sagte er.
Ihr wissenschaftliches Werk sei eng verknüpft mit ihrem literarischen Schaffen. Er bescheinigte ihr Selbstironie, Beobachtungsschärfe und Witz statt Larmoyanz in der Schilderung ihrer persönlichen Erfahrungen. Ihre autobiographischen Texte seien zugleich Essays mit politisch-gesellschaftlichen Dimensionen.
Klüger brachte ihre Freude darüber zum Ausdruck, als Germanistin einen Preis in Empfang zu nehmen, der im Namen der großen Rollenmodelle ihres Berufs gestiftet worden sei: "Über die Brüder Grimm lässt sich so viel Gutes sagen wie kaum über andere deutsche Philologen, sowohl über ihren Charakter und ihre politische Standhaftigkeit als auch über ihre wissenschaftliche Leistung."
Das Zuhören nannte sie eine der bewundernswerten Eigenschaften der Brüder. Es sei die Vorbedingung ihres Erfolgs.
"Das ist nicht so selbstverständlich, wie es klingt, denn sie waren Professoren, die von Beruf aus Zuhörer hatten, nicht Zuhörer waren", erläuterte Klüger. "Und nun schon gar, Frauen ernst genug zu nehmen, um das was diese erzählten, fleißig aufzuschreiben!" In ihrem Vortrag "Grimms Märchen als Frauenliteratur" widmete sich die Preisträgerin vornehmlich den so genannten Mädchenmärchen, die für ein weibliches Publikum erzählt worden seien und oft um das Thema Pubertät kreisten.
In ihrer Rede nannte Klüger Wilhelm und Jacob Grimm"Wissenschaftler und Zauberer zugleich". Sie seien "die Alchemisten der Germanistik" gewesen, die das Blei der Philologie in das Gold der Dichtung verwandelt hätten.
"Die Volksmärchen gehen die Ängste und Wünsche der Kinder mit einer Direktheit an, die sich oft über die landläufige Moral und Pädagogik hinwegsetzt, dann aber nach Umwegen sucht – und zwar lustige, traurige, oft gruselige -, um die angedeuteten Konflikte verdaulich zu machen in einem für das kindliche Verstehen beschränkten Raum", erläuterte Klüger. Zwar gebe es Grenzen dessen, was man Kindern zumuten könne, doch gleichzeitig wollten und sollten sie wissen, was auf sie zukomme.
"In den Mädchenmärchen gehört dazu öfters die spielerische Entmachtung des männlichen und Ermächtigung des weiblichen Geschlechts."
Mit dem Brüder Grimm-Preis würdigt die Philipps-Universität alle zwei Jahre hervorragende Leistungen auf den Forschungsgebieten der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm, insbesondere den Sprach- und Literaturwissenschaften, der Volkskunde / Europäischen Ethnologie, der Rechtsgeschichte und der Geschichtswissenschaft. Die Auszeichnung ist mit einer Medaille und 5.000 Euro Preisgeld verbunden.
pm: Philipps-Universität Marburg
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