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Von Unwissen und Ablehnung


Studentin engagiert sich für Sinti und Roma

26.10.2014 (jfu)
Neun Monate dauerte die Wohnungssuche. Zu den ablehnenden Worten, die Alexandra Obermüller dabei zu hören bekam, gehörten folgende: "Ich möchte meine Wohnung dann danach auch weiter vermieten können." Wenn sie davon erzählt, klingt es fast wie ein Wunder, dass ihr später doch jemand zusagte.
Das Problem war, dass Obermüller nicht für sich selbst suchte. Ihr Telefonat tätigte sie für eine Familie von Asylbewerbern. Was es wohl noch schwieriger machte, waren Ethnie und Herkunft der Familie: Es ging um Roma aus Albanien.
Die Marburger Studentin hatte im Januar 2013 begonnen, sich ehrenamtlich für Asylsuchende in Mittelhessen einzusetzen. Dabei ging es beispielsweise um Hilfe bei Behördengängen und rechtliche Beratung.
So lernte Obermüller Roma kennen, die wegen Diskriminierung und Anfeindungen aus ihren Heimatländern geflohen waren. Durch ihre Begleittätigkeit erfuhr sie oft selbst die Ablehnung, die Angehörigen dieser Ethnie auch in Deutschland entgegenschlägt.
Seit Beginn des Wintersemesters 2014 studiert sie den Master Europäische Ethnologie an der Philipps-Universität. Als sich Anfang 2014 die "Asylbegleitung Mittelhessen" gründete, übernahm sie den Vorsitz des Marburger Vereins.
Trotz der vielfältigen Arbeit in der Asylbegleitung hat die besondere Situation von Sinti und Roma in Deutschland Obermüller nicht losgelassen. Das liegt auch daran, dass sie persönliche Beziehungen aufgebaut hat wie zu der Familie, für die sie die Wohnung suchte. Darüber hinaus hat sie sich in ihrer Bachelorarbeit zum Thema Minderheitenschutz in der Bundesrepublik Deutschland und durch die Kontaktaufnahme zu Sinti- und Roma-Organisationen in Deutschland weiter mit der Thematik auseinandergesetzt.
Dabei hat die Studentin festgestellt, dass Informationen über Sinti und Roma in Deutschland oft zurückgehalten werden. Aus Angst vor Diskriminierung halten viele ihre Ethnie geheim.
Als Obermüller einmal hörte, wie ein Bekenntnis dazu als "Outing" bezeichnet wurde, war sie zunächst befremdet. Mittlerweile habe sie aber besseres Verständnis dafür.
Schließlich gebe es ein Bewusstsein der Sinti und Roma darüber, was manche Menschen von ihnen denken. "Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin nicht gefährlich oder ansteckend." Dieser Satz wurde Obermüller zu Beginn einer Asylbegleitung von einem Rom gesagt.
Wenn sie so etwas erzähle, seien die Leute schockiert. "Aber es ist nichts, was nachhaltig wirkt."
Stattdessen halte sich in Medien und Politik das Bild der Roma als Armutseinwanderer aus Osteuropa. Diskriminierung und Verfolgung als nachvollziehbare Gründe für eine Flucht aus der Heimat passen nicht in dieses Bild.
Wohl auch deswegen hat es in Deutschland bisher nur einen Fall gegeben, bei dem Asylanträgen von Roma stattgegeben wurde. Im März 2014 wurde zwei Asylbewerbern aus Serbien durch ein Stuttgarter Gericht der Schutz des Staates zugesprochen. Als Grund nannte das Gericht die "erforderliche Intensität" der Diskriminierungen, denen Roma aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Serbien ausgesetzt sind.
Auch davon weiß Obermüller zu berichten. Sie erzählt von dem Sohn einer serbischen Roma-Familie, der in der Schule angefeindet wurde. Als sich eine Lehrerin für ihn einsetzte, wurde sie suspendiert.
Die Eltern nahmen den Jungen schließlich von der Schule. "Und hier wird dann gesagt, sie wollen keine Bildung für ihre Kinder."
Fehlende Schulbildung von Roma werde so in Deutschland nicht als Folge von Diskriminierung verstanden, sondern als Bestätigung eines Vorurteils gesehen. Nach den tatsächlichen Gründen werde deshalb kaum noch gefragt.
Ein halbes Jahr nach dem Stuttgarter Gerichtsurteil hat die Bundesregierung eine Asylrechtsreform beschlossen. Damit hat sie Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Somit werden Asylgesuche aus diesen Ländern noch schneller abgelehnt werden, als es bisher schon der Fall war.
Eine gute Begründung für den Antrag zählt damit noch weniger als zuvor. Für Obermüller ist dagegen klar, dass weiterhin jeder Einzelfall geprüft werden muss. Das neue Gesetz bestätige dagegen eine langjährige Praxis, nach der ein Großteil der Asylanträge aus diesen Ländern abgelehnt wurde.
Obermüller will sich weiterhin für die einsetzen, die nach Deutschland kommen. Zugleich sucht sie auch nach Wegen zur Unterstützung der deutschen Sinti und Roma, deren Familien seit Generationen hier leben und immer noch Diskriminierung fürchten.
Für die Studentin besteht das Problem nicht in tiefgehendem Rassismus und bewusster Ausgrenzung. Vielmehr sei das Unwissen der Leute in Bezug auf Sinti und Roma gefährlich, weil dadurch alte Vorurteile weiter bestehen könnten.
Deshalb will Obermüller als nächstes für mehr Öffentlichkeit sorgen. In Mittelhessen ist sie eine von Wenigen, die sich speziell diesem Thema zugewandt hat. Daher sucht sie nun nach Mitstreitern. Für sie selbst ist das Thema längst zur Herzensangelegenheit geworden.
Johanna Fuchs
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