11.10.2014 (jfu)
Der Herbst kommt, Sonne und Touristen verschwinden und Marburgs Stadtbild ist wieder von Studierenden geprägt. Es ist drei Uhr nachmittags, das Wetter ist regnerisch, die Menschen sind benebelt: Willkommen in der Orientierungswoche für Erstsemester!
Junge Menschen laufen in Gruppen herum, Bierflaschen in den Händen. Mit Mülltüten bekleidet stehen andere im Kreis, Plastikbecher zu ihren Füßen. Unschuldig Vorübergehende werden gefragt, ob sie etwas zum Tauschen dabei haben, das Beste wäre ein BH.
Bereits in ihrer ersten Woche erwartet die Erstsemester ein abwechslungsreiches Programm. Es gibt Spiele zum Kennenlernen mit Schnaps, Raumsuche bei Rallyes im Rausch und Gruppengesänge bei weiteren Getränken.
Nüchtern besehen ist fraglich, ob die Orientierungswoche auf diese Weise zur räumlichen Orientierung beiträgt. Sehr wohl kann sie aber beim Überwinden anderer Anfangsschwierigkeiten helfen.
Das gilt besonders für den sozialen Einstieg ins Studium. Die Leute werden lockerer, die Aufgaben erleichtern das Kennenlernen.
Schließlich ist der Studienanfang erstmal ein Sprung ins kalte Wasser. Ein Fachbereich praktiziert das dem Vernehmen nach sogar wörtlich: Hier werden die Erstsemester in der "OE-Woche" in die Lahn geschickt.
Abgesehen von solchen Aufgaben feiern die "Erstis" die Anfangsfreude über einen neuen Lebensabschnitt. Denn diese Leute haben es an die Uni geschafft. Im Idealfall haben sie in dieser Stadt sogar ein Zimmer gefunden.
Während sich die Erstsemester im Anfangstaumel befinden, blicken unbeteiligte ältere Semester verächtlich oder wehmütig auf das gebotene Schauspiel. Bei einem baldigen Abschluss in Literatur kommt beinahe Neid auf beim Anblick der Fast-Medizinstudierenden, die zur fachlichen Identitätsstiftung im Kittel durch den Regen laufen. Falls sie ihre Hammerprüfungen schaffen, gibt es für sie immerhin eine vorgezeichnete Berufslaufbahn.
Für viele treten dagegen zum Ende des Studiums ganz neue Anfangsschwierigkeiten auf, die eher weniger einen Grund zum Feiern darstellen. Eher geht man zum Career Center, um ihnen mit Soft Skill-Erwerb und Training fürs Assessment Center entgegenzutreten.
Gefühlt steht man am Ende wieder da, wo man am Anfang war. Dann will es manch einer den Erstsemestern gleichtun und einfach in die Lahn springen.
Aber keine Sorge: Schwimmen ist ein Soft Skill, den man schon in der Grundschule erwirbt. Man muss den Sprung ins kalte Wasser nur positiv-metaphorisch verstehen. Das zumindest sollte das Literaturstudium schließlich vermittelt haben.
Johanna Fuchs
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