05.09.2014 (tro)
Das Polarisationsmuster des Sonnenlichts genügt Wanderheuschrecken, um die genaue Position der Sonne zu bestimmen. Diese Erkenntnis legt eine aktuelle Studie von Marburger Biologen nahe. Darin haben sie die neuronalen Reaktionen der Insekten auf polarisiertes Licht mit dem Polarisationsmuster des Himmels verglichen.
Die politisch umstrittenen Wissenschaftler um Prof. Dr. Uwe Homberg von der
Philipps-Universität berichteten am Donnerstag (4. September) über ihre Ergebnisse im Fachblatt "Current Biology". Die Heuschrecken der Art "Schistocerca gregaria" legen weite Strecken zurück, wenn ihr Lebensraum in der afrikanischen Wüste zu eng wird.
Das Ziel ihrer Wanderung ist genetisch festgelegt. Auf dem Weg dorthin richten sich die Tiere vermutlich nach dem Stand der Sonne.
"Verhaltensexperimente haben gezeigt, dass Heuschrecken polarisiertes Licht wahrnehmen und sich daran orientieren können", erläuterte Homberg. Lichtwellen schwingen senkrecht zu ihrer Ausbreitungsrichtung. Dieser Effekt erlaubt eine Vielzahl von Orientierungen.
Werden die Sonnenstrahlen in der Erdatmosphäre gestreut, so schwingen sie synchronisiert in einer bestimmten Richtung. Sie sind polarisiert.
Die Schwingungsrichtungen sind dabei in konzentrischen Kreisen um die Sonne angeordnet. Bislang ist jedoch unklar, wie Heuschrecken und andere Insekten eindeutig bestimmen, in welcher Richtung die Sonne sich befindet.
"Polarisiertes Licht hat eine Periodizität von 180 Grad", erläuterte Ko-Autor Dr. Keram Pfeiffer. "Das bedeutet, dass eine bestimmte Schwingungsrichtung identisch mit einer um 180 Grad gedrehten Schwingungsrichtung ist." Daher habe man bisher angenommen, dass polarisiertes Licht alleine keine eindeutige Bestimmung des Sonnenstands zulasse.
"Unsere Studie legt nahe, dass aufgrund der Größe und Struktur des Sehfeldes diese Unsicherheit durch den Vergleich mit dem Himmelspolarisationsmuster aufgehoben wird", führte Pfeiffer aus. Die Marburger Wissenschaftler haben an verschiedenen Stellen des Insektenhirns die elektrische Aktivität gemessen, mit der Nervenzellen auf künstlich polarisiertes Licht reagierten. Dabei lösten bestimmte Orientierungsrichtungen des polarisierten Lichts maximale Nervenaktivität aus.
Das gemessene Muster der neuronalen Aktivität entspricht dem Polarisationsmuster des Himmels bei bestimmten Sonnenständen. Die Tiere verfügen also gleichsam über eine neuronale Repräsentation des Himmels. Diesen "Himmel im Kopf" können sie mit dem tatsächlichen Polarisationsmuster abgleichen, um so den Sonnenstand zu bestimmen.
"Unsere Daten legen eine neuartige Erklärung nahe, wie im Insektengehirn das Polarisationsmuster des Himmels ausgewertet wird", fasste Pfeiffer die Ergebnisse zusammen. "Weitere optische Signale wie der Farbgradient des Himmels können dazu dienen, das System zur Richtungsbestimmung gegenüber Störungen abzupuffern", ergänzte Mitverfasser Miklós Bech. Er fertigt in Hombergs Arbeitsgruppe seine Doktorarbeit an.
Homberg lehrt Tierphysiologie mit neurowissenschaftlichem Schwerpunkt an der Philipps-Universität. Pfeiffer leitet eine Nachwuchsforschergruppe am Marburger Fachgebiet Tierphysiologie.
Die aktuelle Publikation wurde durch die
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziell gefördert. Frühere Phasen des Projekts hatten allerdings auch Gelder des US-Verteidigungsministeriums Pentagon erhalten. Die Orientierung anhand von polarisiertem Licht könnte in Kampfdrohnen zur Anwendung kommen.
Seit Bekanntwerden der militärischen Finanzquelle gibt es auch an der Philipps-Universität eine breite Diskussion über die Unabhängigkeit von Forschung. Anfang Juli 2014 haben die Studierenden deshalb über eine
Zivilklausel abgestimmt. Sie soll die Arbeit der Hochschule ausschließlich an friedliche und Zivile Zwecke binden.
Thade Rosenfeldt/pm
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