02.09.2014 (jfu)
Ihr Geburtsjahr ist 1914. Das haben die 14 Frauen im Stück „Sie wollten fliegen – jetzt erst recht“ gemeinsam. Sie alle haben eine Geschichte, die erzählenswert ist.
Den Drang, diese Geschichten zu erzählen, merkte man der Aufführung am Montag (1. September) im
Kulturladen KFZ deutlich an. Der Untertitel der Veranstaltung von ACTeasy und Theater GegenStand lautete: „Eine Performance zum 100. Geburtstag“.
Regisseurin Karin Winkelsträter und ihr Ensemble haben dafür zweifellos interessante Persönlichkeiten ausgewählt. Bemerkenswert sind zugleich die Unterschiede, die sie aufweisen.
Neben der russischen Kampfpilotin Irina Sebrowa tritt die Spionin und Pazifistin Noor Inayat Khan auf. Neben der Hitler-Bewunderin Unity Midford kommen die jüdische Sportlerin Gretel Bergmann und Orli Wald – der „Engel von Auschwitz“ – zu Wort.
Eine ganz andere, persönliche Geschichte ist die des Musikers Billy Tipton. Geboren wurde er als Dorothy Lucille Tipton.
Wichtig ist Winkelsträter die Erinnerung an diese Menschen, die im Jahr des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zur Welt kamen. Deshalb beleuchtet ihr Stück sowohl die äußeren Umstände der beiden Weltkriege als auch die privaten Gedanken der Protagonistinnen.
Die Performance bestand aus Lesung, Gesang, Tanz und Musik. Sechs Darstellerinnen erzählten dabei von den Frauen. Im Halbrund an kleinen Tischen sitzend lasen sie Texte in der Ich-Form oder Informationen über die Frauen vor. Dann wieder gingen sie durch den Raum, um Szenen aus ihrem Leben darzustellen.
Unterbrochen wurden Lesung und Theaterspiel durch Sequenzen von Ausdruckstanz. Mehrmals griffen die Darstellerinnenauch selbst zu Instrumenten oder sangen. Untermalt wurden einige Szenen von größtenteils bekannter Musik von Klassik bis zu russischer Folklore.
Das Stück begann mit einer Reflektion über Erinnerung und Vergessen. Lose chronologisch geordnet folgten Kommentare und Beschreibungen der Frauen. Das ging von ihrer Geburt und Familie über ihre Laufbahnen bis zu einem Lebensrückblick.
Vor allem die Erlebnisse im Zweiten Weltkriegs standen dabei im Fokus. Aber auch Privatleben, Philosophien und Beziehungen der Protagonistinnen wurden vorgetragen. Dazu kam ein Kommentar aus heutiger Sicht, in dem offenbar die Verfasserin ihre Gedanken mitteilte.
Leider erschwerten die schnellen Rollenwechsel bisweilen das Verständnis. Die Namen der Frauen wurden zu Beginn noch auf einer Leinwand hinter der Bühne angezeigt. Wer das Programmheft aber nicht gut studiert hatte, wusste unter Umständen nicht, für welche Frau gerade gesprochen wurde.
Auch die Themen der Texte änderten sich sprunghaft. So tat eine Frau ihre Meinung zu Waffenproduktion kund. Direkt im Anschluss erzählte die nächste von einer Erfindung der Österreicherin Hedy Lamarr, die nie verwirklicht wurde.
So entstand eine Art Mosaik aus Informationen über die 14 Frauen. Die Einblendung ihrer Fotos auf der Leinwand verstärkte diesen Eindruck. Offenbar ging es der Regisseurin also nicht um die Darstellung eines einheitlichen Bildes, sondern um Schlaglichter auf manche Lebenssituationen ihrer Protagonistinnen.
Die unkonventionelle Art der Darstellung passte vielleicht zu den besonderen Frauen, um die es ging. Die Präsentation dieser beeindruckenden Persönlichkeiten war bruchstückhaft und teilweise abstrakt. Trotzdem gelang es der Theatergruppe, diese beeindruckenden Persönlichkeiten wieder aufleben zu lassen.
Die Begeisterung Winkelsträters für ihr Thema war in der Vorführung deutlich spürbar. Im engagierten Spiel ihrer Darstellerinnen zeigte sich, dass auch sie ihre Faszination teilten.
Die Darstellung der historischen Personen hat unter der zu großen Zahl gelitten. Diesen Eindruck teilte das Publikum aber offenbar nicht. Die Anwesenden zeigten sich beeindruckt von der Performance.
Johanna Fuchs
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