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Krach und Dunst


Groß angelegtes Kunstprojekt geht in eine neue Phase

31.08.2014 (tro)
Das Projekt "K'unst" geht ab Montag (1. September) in die nächste Phase. Seine neue - multimedial gestützte - Freiluftausstellung wird dann in der Biegenstraße eröffnet.
Das vom Bachelor-Studiengang "Kunst, Musik und Medien" der Philipps-Universität initiierte Gesamtkunstprojekt zieht eine zunehmende Zahl internationaler Künstler nach Marburg. Die Kooperation von bildenden Künstlern und Landartists mit Avantgarde-Musikern hat eine Dimension erreicht, die selbst die optimistischsten Beobachter in Erstaunen versetzt.
"K'unst" ist ein Kofferwort aus Krach und Dunst. Diese leicht selbstironische Namensgebung beschreibt dennoch treffend die Konzeption des stadtweiten Projekts.
Die Exponate sollen mit allen Sinnen wahrgenommen werden. Dazu gehören auch der Geruchs- und Gehörsinn.
"Wir leben in einer Zeit der Realitätsflucht", heißt es in der Programmschrift des Projekts. "Die Industrie wird outgesourced - bloß weit weg damit nach Übersee!" Weiterhin ist vom "digitalisierten Biedermeier" die Rede.
Das Ziel von "K'unst" ist nun, diesem Trend entgegenzuwirken. Die Werke interpretieren und ästhetisieren die "ungeliebte Industrie" für den Alltag. Mit schwerem Gerät aufwendig gestaltete Freilichtkunsträume bieten eine Bühne für teils komponierte, teils improvisierte Geräuschmusik nach dem Vorbild Luigi Russolo's.
Der Erfindungsreichtum der Künstler bei der Umgestaltung der Marburger Stadtlandschaft scheint dabei grenzenlos. Filigrane Gebilde aus Stahl erheben sich wie futuristische Kirchtürme majestätisch über wüste Trümmerlandschaften. Teils mit archaisch anmutendem Schlagwerk, teils mit hochmodernen elektrischen Instrumenten dröhnt, rattert und wummert die Musik wie der hektische Herzschlag der Zeit.
Dazu bewegen sich an Seilen und Stahltrossen kurios abstrakte Gebilde in einer sensationellen Neuschöpfung aus Ballett und Aktionskunst auf und nieder. Löcher werden aufgerissen, mit leeren Röhren scheinbar sinnlos bestückt und wieder zugeschüttet. Sysiphus ist im 21. Jahrhundert angekommen. Doch hier stehen selbstverständlich nicht Sinn und Zweck sondern Sinnlichkeit und Spaß im Vordergrund.
Ein wichtiger Aspekt des Projekts ist dabei die Publikumsnähe. Die meisten der Kunststätten sind teilweise oder sogar ganz begeh- und erfahrbar. Außerdem bemühen sich die Künstler um möglichst viele Aufführungsorte, um keinen Stadtteil zu vernachlässigen.
Nicht ohne Grund findet ein Großteil der Veranstaltungen an Verkehrsknotenpunkten Marburgs statt. "Wir sind es satt, dass unsere Bemühungen nur von einem Bruchteil der Gesamtbevölkerung wahrgenommen werden", beschwerte sich einer der Hauptverantwortlichen des Projekts, der aus naheliegenden Gründen anonym bleiben will. "Deshalb zwingen wir Sie alle nun zur Teilhabe an unserer Kunst."
Die neue Ausstellungsfläche in der Biegenstraße will daher an den Öffentlichkeitserfolg anknüpfen, den die seit einigen Monaten bestehende Performance auf dem Bahnhofsvorplatz erzielt hat. So viele Kunstkonsumenten wie dort habe vielleicht nicht einmal die Dokumenta, freute sich der Mitinitiator.
Auf viel Unverständnis unter der Stadtbevölkerung stößt "K'unst" dennoch. Es gebe immer Banausen, die Kunst nicht einmal erkennen, wenn sie auf Geh- und Fahrwegen direkt davor stehen.
"Sie beschweren sich über Verkehrsbehinderungen", mockierte sich der Künstler. "Sehen sie denn nicht, wie die transzendente Raumzeitstruktur zerfließt? Immer wird nach Entschleunigung gerufen, und wenn sie sie dann haben, wollen sie sie nicht."
Die Menschen in Marburg sollten vielmehr dankbar sein. Schließlich hole "K'unst" sein Publikum direkt im Alltag ab. So leicht sei Kunstrezeption noch nie gewesen.
Trotzdem werden immer mehr Rufe laut, die nach der Rechtmäßigkeit der Behinderungen fragen. Doch die Erlaubnis der Universitätsstadt Marburghaben die Künstler mit den feschen gelben Kopfbedeckungen.
Unter dem Motto "Asphaltgärtnerei" läuft bereits Marburgs Bewerbung mit diesem Projekt für die Bundesgartenschau (BUGA) im Jahr 2025. Kritiker bezweifeln jedoch den Erfolg dieses Vorhabens.
Diese Messe locke zichtausende Menschen an ihren Austragungsort. Für sie sei aber angesichts der zahllosen Kunststätten gar kein Platz mehr in Marburg.
Thade Rosenfeldt
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