11.04.2014 (fjh)
"Dein Herz ist so übermäßig groß, dass es kaum in Dich hineinpasst." Mit diesen Worten charakterisierte Cordula Freifrau von Brandis-Stiehl ihre Kollegin und Mitstreiterin Rita Schroll.
Die blinde Sozialpädagogin erhielt am Freitag(11. April) aus der Hand des Marburger Oberbürgermeisters Egon Vaupel das Verdienstkreuz am Bande. Mehr als 100 Menschen waren zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes in den Historischen Saal des Rathauses gekommen.
Dass das Hessische Ministerium für Soziales und Integration mit gleich vier Mitarbeiterinnen vertreten war, wertete Vaupel als Ausdruck der Wertschättzung Schrolls. Seit mehr als 20 Jahren setzt sie sich beruflich und ehrenamtlich für sozial benachteiligte Menschen ein. Einen besonderen Schwerpunkt bildet dabei ihr Engagement für behinderte Frauen.
Das weite Spektrum ihrer ehrenamtlichen Aktivitäten reicht dabei von der Mitarbeit im hessischen Landesfrauenrat und im Netzwerk behinderter Frauen über die Arbeit bei Pro Familia, beim Notruf für belästigte und vergewaltigte Frauen und im Weibernetz bis hin zur Mitarbeit beim
Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS), beim
Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband (DBSV) oder im
Behindertenbeirat der Universitätsstadt Marburg. Seit deren Gründung arbeitet Schroll hauptberuflich bei der hessischen Koordinationsstelle für behinderte Frauen und Mädchen in Kassel.
Aufgefallen sei ihr Schroll zunächst durch ihr Einfühlungsvermögen und den Respekt, den sie anderen entgegenbringe, erklärte von Brandis-Stiehl. Nach ihrer Erblindung habe Schroll sie beraten und auf ihre neue Situation vorbereitet. Dabei habe sie ihr Mut gemacht durch ihren respektvollen und zugleich tatkräftigen Umgang mit der sehbeeinträchtigten Ratsuchenden.
Als sie über eine Mailingliste die Aufforderung erhielt, Frauen für das Bundesverdienstkreuz vorzuschlagen, habe sie sofort an Schroll gedacht. "Wer, wenn nicht Rita", sei ihre spontane Reaktion gewesen, berichtete von Brandis-Stiehl.
"Wenn Männer für eine Ehrung vorgeschlagen werden, sagen sie eher: Ja, das habe ich schon verdient", meinte Vaupel. Frauen hingegen fragten: "Warum ausgerechnet ich? Habe ich das wirklich verdient?"
Dass die Auszeichnung mit Schroll genau die Richtige treffe, begründeten Maria-Theresia Schalk vom Paritätischen HESSEN, Brigitte Ott vom Vorstand des Landesfrauenrats Hessen und Dr. Ute Giebhardt als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft der hessischen Frauenbüros anschließend in kurzen Beiträgen. Sie alle lobten die Kompetenz und Kreativität Schrolls.
Unermüdlich weise sie darauf hin, dass Beratungsangebote für Frauen barrierefrei sein müssen. Zur praktischen Verwirklichung ihrer Forderung habe sie allen Einrichtungen im Landesfrauenrat Klingelschilder in der tastbaren Brailleschrift ausgedruckt. Ein wichtiges Anliegen sei Schroll
auch die Leichte Sprache.
Die
Kulturloge Marburg verdanke Schroll nicht nur die Beratung und Vermittlung vieler Kulturgäste, erklärte Alexandra Klusmann. Maßgeblich habe sie auch dazu beigetragen, dass die nach der Gründung der Kulturloge neu aufgesetzte Datenbank von Fehlern bereinigt und damit funktionsfähig wurde.
Den zuvor bereits angesprochenen Humor bewies Schroll in ihrer Dankesrede. In witzigen Anekdoten erinnerte sie sich an die gemeinsame Erkundung des Zimmers im Internat der
Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA), um es bei Bedarf auch durch das Fenster verlassen zu können, an eine Aufführung von "Andorra" im Schulunterricht oder an die Yoghurtbecher in den Speichen des Fahrrads ihres Bruders, mit dem ihr Vater es für seine blinde Tochter hörbar gemacht hatte.
Als Überraschung präsentierte ihr Ehemann der neuen Verdienstkreuzträgerin einen Ausdruck der - vom Bundespräsidenten Joachim Gauck ausgestellten - Urkunde in Brailleschrift. "Das zeigt, was das Bundespräsidialamt und die Universitätsstadt Marburg noch lernen müssen", kommentierte Oberbürgermeister Vaupel diese Aktion.
Franz-Josef Hanke
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