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Perfekte Illusion


"Das Weite Theater Berlin" ließ die Puppen tanzen

06.04.2014 (kha)
"Windows Open!" Nicht mehr als diese beiden Worte muss Polizeipräsident Hagen laut aussprechen, um in seiner neuen Wohnung vollautomatisch die Fenster öffnen zu lassen. Zumindest ist das die Illusion, denn im Puppenspiel "Heisse Wammer" ist natürlich alles reine Handarbeit.
"Das Weite Theater" aus Berlin bescherte mit dieser Inszenierung von Hans-Jochen Menzel am Samstag (5. April) im Hessischen Landestheater Marburg dem KuSS- Festival einen würdigen Abschluss. Mit vereinten Kräften erzählten Torsten Gesser und Irene Winter die Geschichte von Polizeipräsident Hagen. Er zieht in eine neue Wohnung und entdeckt, dass sich darunter ein "Nibelungenschatz" befindet.
Diese Tatsache ist ihm so garnicht recht, denn eigentlich will er bloß seine Ruhe haben fernab von der digitalisierten Welt, in der jeder jeden über Facebook finden kann. Mit der Ruhe ist es aber vorbei, als der Schatz eine Reihe amateurhafter Kleinkrimineller auf den Plan ruft. Diese Halunken planen nämlich, sich das Geld unter den Nagel zu reißen.
Unglaublich viele Figuren geben sich hier im wahrsten Sinne die Klinke in die Hand. Neben Hagen gibt es noch sein schatz-bewachendes Hauskrokodil und seine Pathologin Alice, aber auch den Manager des Wohnkomplexes, die Gauner Igor, Theresa, Michael und Marlene sowie die nette alte Dame aus der Wohnung darunter.
Umso erstaunlicher ist die Leistung der beiden Puppenspieler. Schließlich ist es nicht nur eine körperliche Herausforderung, mehr als eine Stunde lang diese Holzfiguren über dem Kopf zu bewegen, sondern eben auch eine unglaubliche darstellerische Leistung. Den beiden ist es tatsächlich gelungen, den Zuschauer glauben zu machen, mit zehn völlig verschiedenen Menschen konfrontiert zu sein. Nach den ersten paar Minuten hatte man nämlich völlig vergessen, dass es sich eigentlich um Puppen mit dem immer gleichen Gesichtsausdruck handelt.
Erstaunlich gut ist Gesser und Winter mit Stimmlage und Geräuschen - insbesondere aber mit Bewegungen - die Imitation von Menschen gelungen. Damit haben sie nicht nur diese Illusion auf die Bühne, sondern das Publikum auch immer wieder zum lachen gebracht.
Die beiden Türen an je einer Seite der Minibühne quietschten. Die linke quietschte ein "jaaaaaaaa", die rechte ein "neeein". So wurden selbst die Türen in die Handlung miteinbezogen, wann immer sich eine der Puppen hindurchbewegte.
"Wir haben doch nen Hammer im Auto", sagte die Kleinkriminelle Theresa und ging ins Treppenhaus. "Neeeein" antwortete die Tür.
Diese Theresa ähnelte optisch dank eines geflochtenen blonden Haarkranzes ein wenig der ukrainischen Politikerin Julija Timoschenko. In der grotesken Puppenkomödie wurde natürlich auch diese Tatsache aufs Korn genommen, indem sich die Diebin dem Wohnungseigentümer spontan vorstellte mit den Worten "Ich sammle Unterschriften gegen die Bandscheibenvorfälle in der Ukraine".
Damit und mit ihrer Thematisierung des Technologiewahns inn der Gesellschaft, der alle "durchsichtig macht wie gläserne Tücher", ist die Inszenierung ungemein aktuell. Sie schneidet kontroverse Themen an und verpackt sie mit viel Ironie und Witz.
Das alles - eingeflochten in die völlig abstruse Handlung - bringt den Zuschauer dazu, sich zurückzulehnen und diesem kurzweiligen Vergnügen und seinen verrückten Figuren amüsiert zu lauschen. Für diese Art von Unterhaltung bedarf es keiner Hochtechnologie; und man braucht kein Facebook. Da kann man Windows dann getrost auch einmal schließen.
Katharina Hahn
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