05.04.2014 (ang)
Schwarz-weiße Boxszenen flimmerten im Foyer des
Hessischen Landestheaters Marburg. Zahlreiche Besucher sind am Freitag (4.April) erschienen, um Lutz Hübners "Das Herz eines Boxers" zu sehen.
Auf sie wartete nach dem Einlass eine Überraschung. Die Sitzreihen der Black Box waren quadratisch angeordnet. Wie bei einem echten Boxkampf saßen die Zuschauer um die Bretter, die die Welt bedeuten.
Stilecht wurde der Kampf mit einer Ringglocke eingeläutet. Die Kontrahenten könnten unterschiedlicher nicht sein.
Der junge Jojo muss im Altenpflegeheim Sozialstunden ableisten. Das geschieht auf richterliche Anordnung hin, weil er ein Mofa geklaut hat.
Dem extrovertierten, großmäuligen Halbstarken passt das gar nicht. Zu allem Überfluss muss er das Zimmer des alten Leo streichen. Der muss – nach einem Schlaganfall auf einen Rollstuhl angewiesen – den ganzen Unmut des Jugendlichen ertragen.
Im Glauben, der senile Alte höre ohnehin nichts mehr, erklärt Jojo, er habe das Mofa gar nicht gestohlen, sondern nur die Schuld für einen vorbestraften Jungen seiner Clique auf sich genommen. Plötzlich regt sich der alte Mann und entpuppt sich als Leidensgenosse.
Die folgenden "Runden" liefern einen verbalen Schlagabtausch, der im Jugendtheater seines Gleichen sucht. Leo ist ein ehemaliger sowjetischer Profiboxer, der seinen Tee mit Vodka aufpeppt – vielmehr seinen Vodka mit Tee, wie Jojo hustend feststellen muss. Seinen Schlaganfall hat er nur vorgetäuscht und plant nun seine Flucht aus dem Altenheim.
Vor allem aber braucht er einen Freund. Für Jojo gilt das zufällig auch.
Das kammerspielartige Stück ist eines über das Leben-Lernen und das Leben-nicht-Verlernen, begründete einst die Jury des deutschen Jugendtheaterpreises die Prämierung von Hübners Stück. Es ist eine Geschichte über Ehre und Respekt, über Angst und Mut. Da drängt sich die Box-Metaphorik geradezu auf.
Zitiert wird deshalb auch Gentlemen-Boxer und Ex-Weltmeister Henry Maske. Er betrachtet Boxen als geistige Auseinandersetzung, nicht als brutale Gewalt.
Boxen solle wegen seiner charakterbildenden Eigenschaft unterrichtet werden, hatte Maske einmal gefordert. Das findet auch die Figur in Hübners Stück. "Du hast ja richtig Charakter", platzt es als erster Satz aus dem alten Leo heraus.
Während der idealistischen Charakterbildung landet die Komödie zahlreiche humoreske Volltreffer. "Jetzt streich deine Wand, sonst musst du noch ein Mofa klauen, damit du fertig wirst", platziert der Alte treffsicher seine Sprüche. Kaum ein Auge bleibt trocken, wenn der grantige Alte und der launische Jungspund aufeinander losgehen – auch wirklich meist nur mit Worten.
Es wundert kaum, dass das Stück nicht nur auf deutschen Bühnen viel gespielt wird. Zu Ruhm gelangte indes auch der Jojo der Uraufführung 1996. Den spielte der heutige Münsteraner Tatort-Kommissar Axel Prahl.
Nur wenn die Boxhandschuhe zu pädagogisch-wertvoll gewickelt werden, offenbart das Stück leichte Defizite. Denn es ist immer dann am stärksten, wenn es politisch unkorrekt bis sarkastisch Generationsstereotypen darstellt – wenn also etwas dreckiger geboxt wird.
Für den Knockout reicht es deshalb nicht ganz. Aber für einen klaren Sieg nach Punkten allemal. Den feierte Henry Maske übrigens auch meistens.
Alexander Grebe
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