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Abgelegen


Staatstheater Mainz mit Zementgarten beim KuSS-Festival

03.04.2014 (ang)
Schwerer Stoff wurde am Mittwoch (2. März) mit "Der Zementgarten" im Rahmen der 19. Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche nicht nur ob der backsteingemusterten Kleidung der vier Schauspieler aufgeführt. Mit dem Stück nach dem gleichnamigen Roman von Iwan McEwan gastierte das Staatstheater Mainz im Hessischen Landestheater Marburg.
Die Geschwister Julie, Jack, Sue und Nachzügler Tom leben mit ihrer schwerkranken bettlägerigen Mutter zusammen. Die umliegenden Häuser stehen leer. Ausgezogen sind die Nachbarn für eine Autobahn, die nie gebaut wurde.
In dieser abgelegenen Trostlosigkeit erfährt es zunächst niemand, als die Mutter verstirbt. Aus Angst, aneinander zu verlieren, beschließen die Geschwister, den Tod der Mutter zu verheimlichen.
Der 1978 erschienene Roman thematisiert dabei nicht nur das Heranwachsen unter widrigen Verhältnissen. Zwischen Verantwortung und Sorglosigkeit, zwischen Heim und Entwurzelung bahnen sich inzestuöse Tendenzen an.
Die Kulisse ist dabei geschickt konstruiert. Eine quadratische Hütte mit Glastüren, bei denen mitunter die Rollladen hoch und runtergezogen werden, lässt immer wieder den voyeuristischen Blick auf das Treiben der Geschwister zu. Sind die Fenster geschlossen, ist es der kleine Tom, der mit seinem Stethoskop die Laute aus der Hütte vernimmt.
Durchweg sexualisiert ist die Beziehung der Geschwister. Besonders der 15-jährige Jack – im Roman der Ich-Erzähler, leidet unter seiner unkontrollierten Sexualität.
So subtil, wie die angedeuteten Doktorspiele an der jüngeren Sue in der Anfangsszene des Romans bleibt es aber nicht immer. Bei einer der zahlreichen Onanie-Szenen von Jack geht das Licht im Saal an. Die öfter angesprochenen Zuschauer bleiben hier keine stillen Beobachter. Das ist aber nicht nur dank der Diskussion mit Dramaturgin und Schauspielern nach dem Stück der Fall.
Das zentrale Motiv des Romans wird in einem langen Monolog Jacks ausgeführt. Der Vater hatte zu Lebzeiten den Garten zementiert, um der Familie die Arbeit daran zu ersparen. Während Jack - zuvor noch seinen Vater nachahmend - seine erste Ejakulation erlebt, fällt der Vater tot in den Zement.
Eine Leinwand an der Hüttendecke zeigt die Mutter in Schwarz-weiß-Aufnahmen distanziert und entrückt. Nur ihre Stimme straft den onanierenden Jack aus dem Off. Symbolisch in Form der Leinwand wird die Mutter nach ihrem Ableben im Keller einzementiert.
Das scheint zunächst niemand zu bemerken. Doch wie das Stück formal die vierte Wand wiederholt einreißt, tut das auch der Zement im Kelle.
Was macht man, wenn man allein zuhause ist? Was ist, wenn man seine Sexualität entdeckt? Was passiert, wenn Eltern nicht mehr die Verantwortung tragen wollen oder können?
Das für Jugendliche ab 14 Jahre ausgeschriebene Stück wirft für Heranwachsende wichtige Fragen auf. Antworten kennt es indes keine.
So angenehm eine wenig moralisierende Perspektive auch sein kann, so ratlos kann sie auch stimmen. Denn die Erzählhaltung eines Romans lässt sich nur partiell auf der Bühne wiedergeben.
Bei der Beerdigung der Mutter lachen die Kinder befreit und weinen abwechselnd. Widersprüchliche Gefühle löste das Stück aber auch bei den Zuschauern aus.
Wo Motive und Motivationen oft nur skizziert werden, wirken sie gleichfalls überzeichnet. Zu wenig Zeit lässt sich die Inszenierung für eine Charakterisierung der Figuren.
Gerade die zentrale Monologszene zeigt die stärke der literarischen Vorlage. Sie nimmt der Inszenierung das Tempo, lässt Zeit zum atmen und macht die Ambivalenz Jacks eindrücklich sichtbar. Das unterstrich das hervorragende Spiel von Felix Mühlen.
Dass das Geschehen auf der Bühne manchmal befremdlich wirkt, liegt damit nicht am schweren Sujet und dem inzestuösen Verhältnis der Geschwister. Es liegt leider an der zwar oft - aber nicht durchgängig - funktionierenden Inszenierung.
Regisseurin Juliane Kann habe einen Hang zur Uneindeutigkeit, sagte Schauspielerin Ulrike Beerbaum später. Manchmal ist mehr aber eben nicht weniger.
Die unterschiedliche Rezeption zeigte sich auch an der Reaktion des Publikums. Während aus manchen Reihen stetiges Lachen zu vernehmen war, wurde in anderen eher fragend getuschelt. Der Applaus am Ende des Stücks fiel dementsprechend aus.
Die vielen Fragen in der anschließenden Diskussion verdeutlichten: das Stück hat zwar zum Nachdenken angeregt; dabei zeigten sich aber viele Nachfragen ob vieler Szenen mehr irritiert denn gefesselt.
Das Ende des Stücks hat kaum einer der Gäste so gesehen wie die Dramaturgin Barbara Stössel. Das sei ein Problem der Marburger Bühnenbeschaffenheit, sagte sie.
Die letzte Frage kam von einem jugendlichen Besucher. Ob es verstörend gewesen sei, das Stück zu spielen, wollte er wissen. "Der Roman hat so eine Leichtigkeit und Natürlichkeit, dass es eigentlich gar nicht so verstörend ist", befand Beerbaum.
Die backsteingemusterte Kleidung ist am Ende Badewäsche mit Blumenmuster gewichen. Leichter Stoff war das zumindest, was die Kostüme anging.
Alexander Grebe
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