31.03.2014 (kha)
Er atmete tief ein und stellte fest: Das ist der Sommer seines Lebens.
Maik ist die Hauptfigur in Matthias Folz‘ Inszenierung von "Tschick". Das Theaterstück basiert auf dem gleichnamigen Roman von Wolfgang Herrndorf. Ein Ensemble des Kinder- und Jugendtheaters Speyer sowie des Theaters in Pfalzbau gastierte damit im Rahmen des KUSS- Festivals am Montag (31. März) im
Hessischen Landestheater Marburg und lieferte eine bravuröse Show ab.
Maik ist der Sohn einer wohlhabenden - aber völlig kaputten - Familie. Sich selbst hält er für den größten Feigling und Langweiler unter der Sonne, bis Tschick in sein Leben tritt. Dieser prollige Russe, den alle für einen abgebrühten "Asi" halten, nimmt Maik an die Hand und in einem geklauten Lada mit auf eine verrückte Abenteuerreise quer durch Deutschland.
Patrick Bartsch als Maik und Arthur Oppenländer als Tschick spielten mit einer derartigen Authenzität, dass man der Freundschaft - von der ersten befremdlichen Begegnung bis hin zur innigen Abschiedsumarmung - beim wachsen förmlich zusehen konnte. Bartsch schien Maiks Unsicherheit bis zum letzten schüchternen durch-die-Haare-streichen komplett in sich aufgesogen zu haben. Auch sein Bühnenpartner Oppenländer füllte die komplexe Rolle des harten Proleten, der mehr und mehr seinen weichen Kern offenbart, vielleicht auch aufgrund eines authentischen russischen Akzents extrem glaubhaft aus.
Als dritte im Bunde mimte Corinna Kettler ein leicht verlottertes Mädchen namens Isa, das den beiden Jungs auf einem Schrottplatz begegnet. Mit ihrer quirligen aufgedrehten Art, Tschicks demonstrativer Coolness und Maiks zurückhaltenderer Beobachter- und Analystenfunktion entstand eine ausgesprochen unterhaltsame Combo.
Deren Zentrum blieben natürlich Maik und Tschick. Mit Witz und Charme sorgten sie für zahllose Lacher beim Publikum. Aus den sympathischen Figuren des Romans machten sie sympathische Menschen zum anfassen.
Doch vor allem in den Musikszenen harmonierte das Ensemble zu dritt nicht nur optisch, sondern auch akkustisch. Das war wunderbar.
Die Jungs und Isa saßen an einem Baum. Dieser Baum wurde - wie alles andere auf der Bühne - von blauen Metalltonnen dargestellt. Tschick verewigte die Namen der drei im Stamm und entdeckte dabei auch den von Anselm Wail, der 1903 auf dieselbe Idee gekommen war. Daraufhin stimmten die Teenager ein Lied an und besangen - mit dem Rücken zum Publikum - Vergänglichkeit, Freundschaft und die Kunst, den Moment zu genießen. Das ist letztlich auch das, worum sich die Geschichte dreht.
Sie dreht sich um die tiefe Freundschaft zweier Jungs, die dem einen hilft, den unsicheren Blick auf die Welt zu verlieren und den anderen ermutigt, er selbst zu sein und die Macho-Mauer einzureißen. Sie dreht sich auch darum, einfach mal zu machen und nicht immer groß über alles nachzudenken.
Das beste Beispiel dafür ist wohl die Schlussszene, in der Maik mit seiner alkoholkranken Mutter wie von Sinnen den gesamten Hausrat und anschließend sich selbst im Pool versenkte. Dann ertönte Maiks Stimme, aus dem Off, während der Saal - in blaues Licht gehüllt - scheinbar selbst unter Wasser trieb. Maik rekapitulierte seine Abenteuer und genoss dazu die geräuscharme Isolation.
"Man kann zwar nicht ewig die Luft anhalten, aber doch ziemlich lange." Also würde er zwar irgendwann wieder in die echte Welt auftauchen müssen, aber dieser Moment und die Erinnerung würden bleiben.
Genauso bleibt den Zuschauern die Erinnerung an 90 Minuten vom Sommer des Lebens eines anderen. Aber das ist ganz so, als wäre man live dabei gewesen und als würde Tschick um die Ecke mit dem Lada warten.
Katharina Hahn
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