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Der Step zum Glück


Ursel wollte im Landestheater abfliegen

16.03.2014 (kha)
Ursel wünscht sich zum Geburtstag ein Flugzeug.
Ein richtig echtes zum drin sitzen will sie, denn sie möchte nur weg.
Ursel wird in der gleichnamigen Inszenierung von Kay Wuschek vom Theater an der Parkaue Berlin gespielt von Elisabeth Heckel. Sie ist ein sechsjähriges Mädchen.
Mit "Ursel" gastierte das "Theater an der Parkaue – Junges Staatstheater Berlin" am Sonntag (16. März) beim Hessischen Landestheater Marburg.
Das Stück des Schweizer Autor Guy Krneta richtet sich an Kinder ab sechs Jahre.
Noch vor ihrer Geburt ist Ursels Bruder Urs durch einen Sturz aus dem Fenster gestorben. Trotzdem ist er allgegenwärtig. Die Eltern decken den Tisch für ihn mit, besuchen stundenlang sein Grab und loben all seine guten Eigenschaften, die sich von denen der Schwester so arg unterscheiden.
Der Bruder hat immer aufgeräumt, immer brav den Teller leer gegessen und sogar immer noch einen Nachschlag gefordert. Selbst an Ursels Geburtstag scheint Urs im Mittelpunkt zu stehen. Darum wünscht sie sich eben ein Flugzeug.
Heckel zelebrierte eine laute und auffällige One-Woman-Show vor einem silbernen Glitzervorhang. Sie benahm sich eben so, wie es ein nach Aufmerksamkeit heischendes Kind wohl auch tun würde.
So gehörten hüpfen, schreien, singen und selbst steppen über die gesamten 50 Minuten Spielzeit zu ihrem Repertoire. Besonders Letzteres amüsierte und faszinierte die Kinder im Publikum über die Maßen. Den Eltern hingegen dürfte die darunter liegende Ernsthaftigkeit doch ein wenig mehr bewusst gewesen sein, während die Knirpse über Slapstick-Elemente wie ein stimmverzerrendes Mikrofon lachten.
Genau darin liegt die beeindruckende Dialektik dieser Aufführung. Einerseits zeigt sie die Tragik dessen, was gesagt wird. Andererseits präsentiert sie die Art, wie es gesagt wird, in einer überdrehten - verzweifelt-fröhlichen - Weise.
Bemerkenswert ist die Szene in der Ursel von ihrer eigenen Beerdigung träumt.
Heckel stellt sich auf ein Podest und parodiert eine Leichenpredigt im breitesten Schwiitzerdütsch.
Eigentlich schockt es Ursel schon, diesem Ereignis beizuwohnen. Wenigstens bleibt ihr aber die diebische Freude darüber, dass ihr Grabstein doppelt so groß ist wie der ihres Bruders. In solchen Momenten beobachten die Kinder gebannt die steppenden Füße Heckels, während die Erwachsenen den kurzen Impuls verspüren, dieses kleine Mädchen ganz schnell einmal in den Arm zu nehmen, dem sie wirklich überzeugend Leben einhaucht.
Die Themen dieses kurzweiligen Kindertheaterstücks sind schwere Kost. Tod, Trauer und die Suche nach Aufmerksamkeit für ein Kind, das sich von Geburt an zurückgestellt fühlt, bilden den Rahmen. Vor allem aber ist das Stück letztlich ein liebevoller Appell an Kinder, Eltern und überhaupt jeden, der Ursels Schreien und Steppen Gehör schenkt, die eigene Gegenwart nicht von der Vergangenheit bestimmen zu lassen. Am Ende, als die Eltern zum allerersten Mal Urs‘ Geschirr nicht auf den Tisch stellen, wird so selbst ein Flugzeug überflüssig.
Katharina Hahn
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