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Burnout im Theater


"Warteraum Zukunft" feierte Premiere

23.02.2014 (ang)
Ein Statist sei auf dem Weg ins Krankenhaus . Ob einer der Theatergäste seine Rolle übernehmen könne, wurde das Publikum in der Galeria Classica am Samstag (22. Februar) begrüßt. Dort feiererte Oliver Klucks Stück „Warteraum Zukunft“ im Programm des Hessischen Landestheater Marburg.
Sportlich müsse der Freiwillige sein, mit Schuhgröße 44 bestenfalls, um das Bühnenlicht via Laufband zu bedienen – so etwa die nächsten vierzehn Stunden, erklärte einer der Schauspieler. Arbeit statt Unterhaltung also. Und Arbeit ist das zentrale Thema von Klucks Drama.
Daniel Puttkamer ist etwa 30, intelligent, promovierter Ingenieur und hoffnungslos gefangen in seiner Arbeitswelt. Stau mit entnervenden Radiosendern, Smalltalk mit unangenehmen Kollegen, Brotzeit in der schlechten Kantine – grau ist Daniels Alltag, so grau wie die Kostüme und Anzüge der sechs Schauspieler.
Das Laufband, auf dem der vermeintliche Zuschauer das Bühnenlicht erzeugt und das Stück gliedernde Teilüberschriften verliest, steht auch für Daniels Leben – immer laufen, aber immer nur auf der Stelle. Auch die anderen Schauspieler sind in dem visuell dynamischen Stück in Bewegung. Da die Bühne mit Tischen zu einem Hufeisen erweitern ist, aber auch hier nur im Kreis.
Ankommen tut niemand. Wohin auch? In den von Jürgen Helmut Keuchel hervorragend besetzten Chefsessel etwa? Selbstgerecht bis sadistisch, drangsaliert der seine Angestellten.
Als Daniel zur Unterredung zum Chef bestellt wird, passiert das nicht nur zufällig mit heruntergelassenen Hosen. Wer die in Klucks Stück anhat oder anbehalten darf, bestimmt ohnehin ein gnadenloses System, das mal zynisch, mal slapstickhaft portraitiert wird.
„Blass sehen Sie aus, haben Sie vielleicht Krebs“, zahlt es Daniel seinem Chef heim, natürlich nur a-part-sprechend, an das Publikum gewandt. Wirklich aufbegehren, kann man nicht.
Die erhoffte Beförderung entpuppt sich alsbald auch nur als Farce. Nicht die Abteilung „Engineering“ darf Daniel übernehmen, sondern die in „Enjiniering“, Rumänien. Das ist das System – „freundlich sein, grüßen, lächeln, nachfragen, zuhören, ihnen mit Eisenstangen auf die Fingergelenke schlagen.“ Das ist der Warteraum Zukunft.
Vieles erkennt man in Klucks Stück wieder. Und gerade deswegen sei das alles so schrecklich und zugleich so schrecklich komisch, heißt es im Programmheft. Leider erschöpft sich das Bekannte in Stereotypen, trotz seiner intelligenten Darbietung.
Inszenierung wie Sujet erinnern deutlich an die Serie „Stromberg“, deren Kinoadaption am Dienstag (18. Februar) Premiere feierte. Anders als die Charaktere der mit dem Grimme-Preis prämierten Serie, bleiben Klucks aber oberflächlich, allenfalls Karikaturen.
Das passt zwar zu der oft grellen Inszenierung, jedoch drohen die guten schauspielerischen Leistungen, darin unterzugehen. Eine mitlaufende Kamera überträgt das Bühnengeschehen parallel auf zwei Leinwände - Bilder werden angehalten, überschneiden sich, zeigen das Stück polyperspektivisch. Mitunter wirkt das etwas enervierend – Theater wird zur Arbeit.
Das wirklich Erschreckende folgt aber, wenn der von Tobias M. Walter nach anfänglicher Nervosität emphatisch gespielte Daniel Feierabend hat. Hier wird - in den Niederungen dumpf-deutscher Geselligkeit, wie es das Programmheft beschreibt – dem Alltagstrott die deutsche Michelmütze aufgesetzt.
Zu Matthias Reim und Scooter wird gesoffen und die Nachbarin angegraben. Wo das Stück mit einer intelligenten Kritik eines perfiden Systems begann, endet es in einer Welt, deren Arbeitsalltag als das geringere Übel erscheint. Dem zentralen Teil des Stücks läuft das etwas zuwider.
Am Ende muss der Protagonist selbst auf das Laufband. Aber egal wie schnell er läuft, das Bühnenlicht wird immer schwächer. Es brennt aus – Burn out, könnte man sagen.
Alexander Grebe
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