20.10.2013 (fjh)
Zwei Jubiläen und eine Preisverleihung standen am Samstag (19. Oktober) an der
Philipps-Universität auf dem Programm. Das Kunstgeschichtliche Institut und das Bildarchiv Foto Marburg feierten in der Aula der Alten Universität ihr 100-jähriges Bestehen. Bei diesem Anlass wurde auch der - nun bereits zum dritten Mal vergebene - Richard-Hamann-Preis für Kunstgeschichte an den Hamburger Kunsthistoriker Prof. Dr. Wolfgang Kemp verliehen.
Der 15. Oktober 1913, an dem der Kunsthistoriker Richard Hamann offiziell seine Arbeit als erster Ordinarius für Kunstgeschichte an der Philipps-Universität aufnahm, gilt als Geburtsstunde des Kunstgeschichtlichen Instituts sowie des Bildarchivs Foto Marburg. Das Bildarchiv wurde von Hamann unter dem Namen "Photographische Gesellschaft“ gegründet.
Heute ist es das weltweit größte Bildarchiv zur europäischen Kunst. Seit 2009 heißt es offiziell "Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg“.
In ihrer Eröffnungsrede charakterisierte die Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause den Neubeginn in der Marburger Kunstgeschichte im Gründungsjahr 1913. Von Anfang an war das Fach insbesondere über die Person Hamanns mit der Fotografie verbunden.
"Hamann schuf mit ungeheurem Tempo die Anfänge zu dem, was ihm und seinen Nachfolgern mit großer Hartnäckigkeit gelang, die ja nur möglich ist, wenn man von seiner Sache vollkommen überzeugt ist - nämlich zu Foto Marburg“, erklärte die Präsidentin. Anhand einiger Zitate des Philosophen Hans-Georg Gadamer, der bei Hamann auch Kunstgeschichte studierte, schilderte sie die Mythenbildung um den Kunsthistoriker.
Die kühnsten und freiesten Ideen seien im Kreise um Hamann diskutiert worden, den Gadamer als "zutiefst unbürgerlichen Geist“ erlebte. In einer Stadt mit 20.000 Einwohnern und rund 2.300 Studierenden sei er, der weder aus akademischen noch großbürgerlichen Verhältnissen stammte, sicher eine markante Figur gewesen.
Prof. Dr. Joachim Herrgen gratulierte als der Dekan des Fachbereichs Germanistik und Kunstwissenschaften den beiden Institutionen zum Jubiläum: "Das Marburger Kunstgeschichtliche Institut ist neben dem der Goethe-Universität das größte in Hessen. Hier hat sich die Verzahnung mit der Praxis - insbesondere im Bereich Museum - die enge, auch personelle Verbundenheit mit Foto Marburg und der interdisziplinäre Ansatz bewährt, so dass man an der Lahn das Fach in voller Bandbreite studieren kann." Das Bildarchiv verbinde zudem integral anspruchsvolle Forschung und Service für die scientific community.
"Ein Institut funktioniert nur, wenn alle – Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, technisch-administrative Mitglieder, Studierende und die zahllosen studentischen Hilfskräfte - begeistert bei der Sache sind“, sagte der Dekan. In diesem Punkt könne er den beiden Hundertjährigen volle körperliche und geistige Frische bescheinigen.
Als "Hülsenfrüchte“ würdigte Josefin Borns den Marburger Kunstgeschichtler-Nachwuchs. Unter diesem Titel hat die - im Ernst-von-Hülsen-Haus residierende - Studentenvertretung ihre Fachschaftszeitschrift zum Jubiläum neu aufgelegt.
"Wir sind energiereich, bereichern jede Mahlzeit; und unsere Gegenwart kann vitalisierend wirken“, begründete die Studierenvertreterin diesen Titel. Nach dem Studium gingen die jungen Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen hinaus in die Welt und trügen letzten Endes die Früchte ihrer Ausbildung weit über Marburg hinaus.
In seinem Festvortrag "Richard Krautheimer in Marburg 1928-1933 - aus den Anfängen einer wissenschaftlichen Karriere“ stellte Prof. Dr. Ingo Herklotz den jüdischen Studenten und späteren Habilitanden Hamanns vor: Er sei "im Hinblick auf sein wissenschaftliches Gesamtwerk die imposanteste Gestalt, von der die Annalen der Marburger Kunstgeschichte zu berichten weiß“. Der "Manager-Ordinarius“
Hamann habe seinem Schüler im Habilitationsgutachten "scharfsinnige Denk- und emsige Forschungsarbeit“ bescheinigt, berichtete der geschäftsführende Direktor des kunstgeschichtlichen Instituts.
Herklotz hat inzwischen den ersten Teil der - aufgrund der politischen Zustände der 30er Jahre unveröffentlicht gebliebenen - Geschichte der deutschen Architektur wiederentdeckt. Krautheimers 180 Manuskriptseiten zur Baukunst des Mittelalters skizzierten die Architektur als eine wechselweise von syrisch-östlichen, frühchristlichen, byzantinischen, französischen und italienischen Einflüssen geprägte Entwicklung, erklärte Herklotz. Krautheimer rücke so in die Nähe der "Marburger Schule“, die Richard Hamann und Hermann Deckert vertraten.
Bildarchiv-Direktor Prof. Dr. Hubert Locher stellte in seinem Beitrag "DU, die Kunst und die Fotografie“ ein Beispiel vor, wie Funktion und Struktur eines Archivs Veränderungen unterworfen sind. Bei Foto Marburg lagern seit 1976 unter anderem mehrere tausend fotografische Vorlagen mit Kunstwerken aus Museen und Privatsammlungen, die in der - seit 1941 vom Zürcher Verlag Conzett & Huber publizierten - Zeitschrift "DU" im aufwändigen Vier-Farben-Druck veröffentlicht wurden.
"Der praktische Nutzen dieser Bestände für das Marburger Bildarchiv ist heute nur noch bedingt gegeben; doch sind sie von hohem historischen und symbolischen Wert“, sagte Locher. Zwar lieferten diese Altbestände immer noch Vorlagen zur Herstellung von Bildern für die Wissenschaft, doch sei das Bildarchiv heute auch insbesondere bestrebt, solche Bestände auch als Sammlungen von Objekten im eigenen Recht zu behandeln.
„Fotografien im Bildarchiv werden nun als Materialien mit eigenem Erinnerungswert aufbewahrt und erforscht“, führte Locher aus.
Im Zentrum der fotografischen Sammlung des Bildarchivs stehen Kunst und Architektur aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und dem übrigen Europa. In den Beständen, die rund 2 Millionen historische und aktuelle Fotografien umfassen, befinden sich aber auch seltene Aufnahmen aus Ägypten und Armenien. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der historischen Erforschung von Geschichte, Praxis und Theorie der Überlieferung von visuellem Kulturgut.
Ein Höhepunkt der Jubiläumsfeier war die Verleihung des Richard-Hamann-Preises 2013 an Prof. Dr. Wolfgang Kemp. Mit ihm würdige die Philipps-Universität einen herausragenden Kunsthistoriker, der die methodischen und inhaltlichen Diskussionen der Disziplin Kunstgeschichte international entscheidend mit geprägt habe, begründete die Jury ihre Wahl. Kemp habe das gesamte Spektrum der Bildmedien im Blick von der hochmittelalterlichen Glasmalerei bis zur Fotografie
und dem digitalen Bild. Zudem seien mit seinem Namen die Ansätze von Rezeptionsästhetik und Betrachterforschung, die historische Erforschung der theoretischen Grundlagen der Fotografie, die Analyse der Möglichkeiten und Mittel eigenständiger Bilderzählung und des architektonischen Raums als Bildraum verbunden.
Krause betonte daher den "Aha-Effekt“, den Kemps Bücher auf sie während ihrer Münchner Doktorandenzeit gehabt hätten. "Ein echter Augenöffner“ seien sie gewesen.
"Von welchem Kemp soll hier eigentlich die Rede sein?“ fragte dann auch sinnigerweise Prof. Dr. Felix Thürlemann zu Beginn seiner Laudatio. Er antwortete dann gleich selbst: "Wolfgang Kemp ist mehr als einer. Er ist Kunsthistoriker, dies ganz unbestritten. Er ist aber auch Essayist und Schriftsteller, Kolumnist und begabter Polemiker, wenn es sein muss.“
Es sei nicht nur die schiere Anzahl der Publikationen, die beeindrucke, wenn man Kemps Schaffen betrachte, sondern vor allem auch die thematische Vielfalt und ihr methodisches und inhaltliches Gewicht, sagte Thürlemann. Den Geehrten charakterisierte er als einen
"Kunsthistoriker alter Schule mit einer beeindruckenden historischen Bildung, der zugleich einer der ganz großen Erneuerer des Fachs in Deutschland – und darüber hinaus - ist“.
Kemp sei ein akademischer Lehrer, der seinen Studierenden das wissenschaftliche Arbeiten eher vorlebe als vorschreibe. Daneben habe der "scharfzüngige Kolumnist“ dem Kunstbetrieb, aber auch seinem eigenen Fach und dem Wissenschaftsbetrieb mit seinen eleganten, ironisch gebrochenen Texten regelmäßig den Spiegel vorgehalten.
"Ohne Marburg hätte die Jury nicht so viel Preiswürdiges an mir gefunden“, leitete Kemp seine Rede ein. Das Ernst-von-Hülsen-Haus habe benachbarte Fächer in offener Raumordnung verbunden und so eine Art Werkgemeinschaft geschaffen, wie sie ihm vorher und nachher nie wieder begegnet sei.
Das in der Laudatio erwähnte essayistische Talent spürten auch die Zuhörer, als Kemp sie in seiner Festrede gemeinsam mit Alfred Döblin "weiter stromabwärts“ hinter Koblenz spazieren ließ, um sich dort einem "großen Ereignis“ zu nähern. Laut Kurt Tucholsky ist das Monument Kaiser Wilhelms I. ein "Faustschlag aus Stein“.
"Wie man Denkmäler ersetzt“, überschrieb Kemp seine Rede, in der er die Erinnerungskultur der Weimarer Republik beleuchtete: Das "Erbgut, das die Weimarer Zeit mit den Denkmälern der Epoche vor 1914 übernommen hatte“, sei "Ablehnung, Aversion, fast schockhaftes Zurückschrecken einerseits und die Frage nach dem geistigen Erbe, dem Fortleben andererseits“.
Daneben habe es in der Weimarer Zeit aber auch pragmatische Akte der Denkmalkritik und des Denkmalsturzes gegeben, erläuterte Kemp. Als Beispiele nnannte er den Selbstabbau durch Korrosionsprozesse, den Abbau durch Anbau von Gegendenkmälern, den Abbau und Ersatz und schließlich den Abbau ohne Ersatz. Kemp schloss seinen Vortrag mit der Feststellung, dass gerade Monumente, die für die Ewigkeit geschaffen würden, in der hier behandelten Zeit zu den kurzfristigsten Kunstschöpfungen überhaupt gehören.
pm: Philipps-Universität Marburg
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