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Lauter


Kleists Kohlhaas in Kirche war Klang-Katastrophe

08.09.2013 (fjh)
Ziemlich genervt verließen vdiele besucher am Samstag (7. September) die Premiere von "Michael Kohlhaas in der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien. Durch den Einsatz einer Lautsprecheranlage in der gotischen Kirche waren höchstens zwei Drittel der Texte zu verstehen.
Das lag freilich nicht an den durchweg guten Schauspielern, sondern an dem fatalen Fehler des Regisseurs Matthias Faltz und seines Chefdramaturgen Alexander Leifheit. Sie glaubten leider, die Stimmen der Darsteller elektronisch verstärken zu müssen, obwohl der Baumeister Thüle von Frankenberg vor mehr als 600 Jahren mit den gotischen Bögen bereits eine grandiose Verstärkeranlage in das Gotteshaus eingebaut hatte.
Angesichts überlappender Halleffekte war es außerordentlich schwer, dem Geschehen auf der Bühne zu folgen. Hinzu kam die verworrene Handlung, in der zwei Kurfürsten Stellung zum Verhalten des Rosshändlers Michael Kohlhaas beziehen. Oft verloren die Zuschauer den Überblick, wann der Kurfürst von Brandenburg und wann der Kurfürst von Sachsen gemeint war.
Beigetragen zu dieser Verwirrung hat sicherlich auch die Verkürzung der zugrunde liegenden Novelle des Dichters Heinrich von Kleist auf eine knapp 80-minütige Bühnenfassung. Zu wenig Tiefe erreichte dabei die Auseinandersetzung des Pferdehändlers mit Recht und Moral, die im Mittelpunkt des Stücks steht.
Kohlhaas wird bei einem Grenzübertritt angehalten. Er soll Zoll für seine Rappen zahlen, die er im benachbarten Sachsen verkaufen will. Zudem verlangt man von ihm einen Pass.
Da er nicht im Besitz eines derartigen Dokuments ist, lässt er seine Pferde zusammen mit dem Knecht als Pfand zurück. Doch der Junker setzt die Reitpferde als Ackergäule ein und misshandelt den Knecht.
Kohlhaas fordert sein Recht ein und verlangt die Rückgabe der Pferde. Doch entweder dringen seine Klageschriften gar nicht durch bis zu den Landesherrn oder sie werden aufgrund verwandschaftlicher Beziehungen des Junkers mit Beratern der Kurfürsten abgeschmettert. Als seine Frau sich für das Recht ihres Ehemanns einsetzt, wird sie von den Wachen des Landesherrn so schwer misshandelt, dass sie daheim nach wenigen Tagen stirbt.
Daraufhin greift Kohlhaas zur Selbstjustiz. Mit einer Schar bewaffneter Mitstreiter zieht er gegen den Junker ins Feld.
Allmählich schwillt das Heer der Unzufriedenen zu einer Armee von mehreren hundert Kämpfern an. Daraufhin verstärken auch die Kurfürsten ihre Truppen, um den Aufstand niederzuschlagen.
In der Rolle des Titelhelden war Tobias M. Walter als Einziger überwiegend gut zu verstehen. Den Kohlhaas verkörperte er eindringlich und glaubwürdig.
Ein hervorragender Einfall von Faltz war die Einleitung der Geschichte durch eine Rede von Martin Luther. Das war umso passender, als der Reformator an genau dieser Stelle in der Lutherischen Pfarrkirche vor knapp 500 Jahren wirklich gepredigt hat. In Thomas Streibig fand er einen überzeugenden Darsteller, der auch noch in weiteren Rollen glänzte.
Eindrucksvoll verkörperte auch Julia Glasewald die Ehefrau Lisbeth Kohlhaas sowie eine Zigeunerin. Aber auch Artur Molin unf Thomas Huth spielten gleich mehrere Rollen durchaus gut.
Phantasievolle Regieeinfälle zogen das Publikum gleich zu Beginn in den Bann. Personen in weißen Gewändern mit aufgesetzten Pferdeköpfen stiegen die Treppe von der Empore zum Foyer herab, während drinnen im noch verschlossenen Kirchenraum gregorianische Gesänge erklangen.
Die Kurhessische Kantorei hatte diesen Part übernommen, der immer wieder in das Geschehen eingebunden wurde. Ob der gregorianische Gesang zum Thema des stücks passt, mag man vielleicht anzweifeln; in den kirchlichen Spielort passte er allemal.
Mehrfach ertönte zudem Orgelspiel mit sehr lautem Trommelschlag. Wirkte dieser Paukenschlag zu Beginn noch sehr eindringlich, so strapazierte seine häufige Wiederholung das - durch den Hall bei den Texten ohnehin schon irritierte - Gehör mehr und mehr.
Letztlich haben Faltz und Leifheit durch die Lautsprecheranlage eine ansonsten durchaus sehenswwerte Inszenierung in eine aktustische Katastrophe verwandelt. Dadurch ist die Eröffnung der Spielzeit des Hessischen Landestheaters Marburg leider gründlich danebengegangen.
Ratsam wäre, wenn die Inszenierungbei allen weiteren Aufführungen einfach gänzlich auf die moderne Schalltechnik verzichten und dem jahrhundertealten Wissen des gotischen Kirchenbaumeisters vertrauen würde. Anderenfalls wäre der größte Gewinn des Publikums die Erfahrung, wie sich Menschen mit einem schlechten Gehör fühlen, wenn sie ihre Umgebung nur sehr lückenhaft verstehen.
Unverständlich ist, dass das Publikum trotz dieses Debakels minutenlang applaudierte. Wahrscheinlich war der Beifall allerdings vor allem an die Schauspieler gerichtet, die ihn auch absolut verdient haben.
Franz-Josef Hanke
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