20.06.2013 (jnl)
Die Marburger Jäger waren an zahlreichen Kriegsverbrechen beteiligt und daher eines ehrenden Gedenkens keineswegs würdig. Das war die Kernaussage einer Studie der
Marburger Geschichtswerkstatt.
Anlässlich des Konflikts um das Kriegerdenkmal in Bortshausen hatte die Stadtverordnetenversammlung (StVV) diese Studie "Zur Geschichte und Nachgeschichte der Marburger Jäger" in Auftrag gegeben.
Sie wurde am Mittwoch (19. Juni) im Stadtverordnetensitzungssaal vorgestellt. Der mit rund 70 Interessierten gut gefüllte Saal dokumentierte ein breites Interesse an diesem Thema.
Stadträtin Dr. Kerstin Weinbach begrüßte die Bürger und Stadtverordneten. Zunächst berichtete Albrecht Kirschner über die Marburger Jäger bis 1913. Anhand dreier Kriegsbeteiligungen zeigte er auf, dass schlimmste Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit den Jägern mehrfach vorgekommen sind.
Bei der Niederschlagung der Pariser Commune 1871 beteiligten sie sich am Morden von Flüchtlingen aus der Stadt. Beim Boxeraufstand in China 1901 und beim Ausrottungskrieg gegen das Volk der Hereros im damaligen Deutsch-Südwestafrika 1906 bis 1908 waren Freiwillige aus den Reihen der Marburger Jäger beteiligt. Beides waren sogenannte "schmutzige Kriege", bei denen nach heutigen Maßstäben Völkermord stattfand.
Den Einsatz der Marburger Jäger im Ersten Weltkrieg und die Traditionspflege bis 1945 stellte Klaus-Peter Friedrich vor. Anhand zweier Episoden aus Belgien 1914 und Schlesien 1919 wurde wiederum deutlich, dass zahlreiche Zivilisten von den Jägern ums Leben gebracht wurden.
Eine südbelgische Kleinstadt war wegen Widerstands gegen den deutschen Durchmarsch im Angriffskrieg nahezu dem Erdboden gleichgemacht worden. Hunderte von Menschen wurden aus Rache und Hass niedergeschossen, obschon sie keine Kombattanten waren.
Ähnliches ereignete sich im schlesischen Königshütte, wo man aus Furcht vor polnischer Landnahme oder wegen sozialistischer Arbeiter in die Menge schoss. Getötet wurden dabei 18 Menschen, verletzt mehr als hundert.
Zur Traditionspflege wurde zitiert, wie ein Ideologe aus den Reihen der Jäger die angebliche Verweichlichung geißelte und den "gesunden Hass" gegen andere Völker am Lodern halten wollte. Die örtlichen Jäger-Gruppen und ihre Häuser gingen folgerichtig bruchlos in einem SA-Verband der Nazis auf.
1945 wurde der Verein und die Traditionspflege der Marburger Jäger von den Alliierten verboten. Dieses staatliche Verbot hielt bis 1979, als sich der Verein mit Unterstützung aus der Bundeswehr neu gründete.
Thomas Werther zeigte, dass das ewig gestrige Profil des Jäger-Vereins überwiegend bis heute aus Verleugnung der Bluttaten und Geschichtsklitterung besteht. Anhand von Zitaten aus Leserbriefen von Jäger-Sympathisanten in der Oberhessischen Presse (OP) vom April 2013 konnte man sehen, wie verbissen und aggressiv alle Andersdenkenden bekämpft und als Linksradikale werden.
Als Vertreter der Marburger Jäger erhielt ein Herr Pilz Gelegenheit, am Redepult Sachargumente gegen die Studienresultate zu äußern. Er konnte keine Auslassungen oder Falschdarstellungen benennen.
Stattdessen nutzte er die Gelegenheit, um in schlimmster Polemik die Geschichtswerkstatt als angebliche Linksextremisten zu beschimpfen. Ahnung hätten sie sowieso keine vom Militär.
In der anschließenden Diskussion stellte der emeritierte Politikwissenschaftler Prof. Dr. Theo Schiller als Diskussionsleiter heraus, dass Trauern über im Krieg getötete Menschen selbstverständlich okay sei. Fragwürdig fand er aber, ob der Aufmarsch in Bundeswehr-Tarnanzügen - wie zwei Fotos von 2012 in Bortshausen dokumentierten - vielleicht kein nachvollziehbares Trauer-Gedenken ausdrücke.
Jürgen Neitzel
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