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Stadt der Gegensätze


Vortrag zur integration Istanbuls in den Weltmarkt

20.06.2008 (alx)
"Istanbul auf dem Weg zur Global City" hieß ein Vortrag des Vereins Kulturelle Aktion Marburg-Strömungen am Dienstag (17. Juni) im Technologie- und Tagungszentrum (TTZ). Der Journalist Werner Girgert referierte ab 20 Uhr über den Wandel in Istanbuls Stadt-Struktur. Der Vortrag fand im Rahmen der "Türkei-Reihe" der Buchhandlung "Roter Stern" statt.
Istanbul erstreckt sich etwa 100 Kilometer in West-Ost-Richtung entlang des Marmara-Meers. Wer versucht, die Grenzen der Stadt von einem der zahlreichen Hügel aus zu erspähen, wird erfolglos bleiben. Ein schier endlos erscheinendes Häuser-Meer erstreckt sich bis zum Horizont.
Rund 15 Millionen Menschen leben in der Stadt am Bosporus. Der Bosporus ist die Verbindung vom Schwarzen Meer zum Marmara-Meer. Gleichzeitig bildet er die Grenze zwischen zwei Kontinenten: Asien und Europa. Heute wie damals ist Istanbul Verbindungsglied zwischen Orient und Okzident.
Ausgangspunkt der Stadtentwicklung Istanbuls ist das "Goldene Horn". Diese natürliche Bucht diente den griechischen Kolonisten im Jahr 660 vor Christus als Hafen. Südlich des "Goldenen Horns" gründeten sie die Stadt "Byzanz".
Die turbulente Vergangenheit Istanbuls lässt sich bis heute am Stadtbild ablesen. Byzantinische Kirchen, römische Aquädukte und osmanische Paläste erinnern an die prunkvollen Jahrtausende in Istanbuls Vergangenheit.
Den historischen Bauten stehen heute moderne Geschäftsviertel gegenüber. Dominiert werden sie von zahlreichen Hochhäusern und schicken Einkaufszentren. Im nördlich der Altstadt gelegenen Stadtteil "Levent" sind vor allem ausländische Unternehmen, Banken und Versicherungen angesiedelt.
"Die Metropole am Bosporus ist auf dem Weg zur globalen Integration", erläuterte Girgert. Stadtplaner orientieren sich an Städten wie London, Tokyo und Singapore, um einen Entwicklungsplan für Istanbul zu erstellen. Die Bemühungen um wirtschaftliches Wachstum und die Teilnahme am globalen Wirtschafts-Geschehen tragen Früchte.
Immer mehr ausländische Investoren interessieren sich für Istanbul. In Planung sind nun die "Dubai Towers". Nach ihrer Fertigstellung wären sie mit 300 Metern die vierthöchsten Gebäude in Europa. Investor ist dabei "Dubai Holding".
Dennoch haben diese Entwicklungen nicht ausschließlich positive Folgen. Die Gegensätze zwischen den Bevölkerungsgruppen werden größer. Besonders Stadtteile, die unmittelbar an den Bosporus angrenzen, werden renoviert und aufgewertet. Ärmere Bevölkerungsschichten werden dadurch verdrängt.
Sie ziehen in sogenannte "Gece Kondus", was sinngemäß soviel bedeutet wie "über Nacht entstanden".
"Sozialen Wohnungsbau gibt es nicht in der Türkei", erklärte der Referent. Bis 1966 aber regelten "Amnestie-Gesetze" die Bebauung und Eigentumsverhältnisse in der Stadt. Sie besagten, dass jeder, der es schaffte, über Nacht ein Haus mit Dach zu bauen, zum Eigentümer des Baulands erklärt wird, erzählte Girgert weiter.
Dennoch seien "Gece Kondus" mehr als über Nacht entstandene Siedlungen. Sie bieten soziale Strukturen und Sicherheiten, die von staatlicher Seite aus ausbleiben. Sie sind die "Integrationsmaschinen des Istanbuler Stadt-Wachstums."
Schätzungsweise 60% der Stadtfläche seien auf diese Weise besiedelt worden.
1950 lebten vermutlich weniger als eine Million Menschen in der Stadt. Innerhalb der letzten 50 Jahre hat sich die Einwohnerzahl also verfünfzehnfacht. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg lockten Industrialisierungs-Bestrebungen die Landbewohner mit der Hoffnung auf Arbeit in die Stadt.
Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich immer weiter. Das durchschnittliche Gehalt einer Grundschul-Lehrerin in Istanbul beträgt 600 Euro im Monat. Die Miete für eine Drei-Zimmer-Wohnung in einem dem Zentrum nahen Stadtteil beträgt etwa 750 Euro pro Monat. Damit ist sie unbezahlbar für eine Grundschul-Lehrerin.
Diese Entwicklungen stehen dabei sinnbildlich für unterschiedliche Entwicklungen in der gesamten Türkei. Drei Viertel des Brutto-Inlands-Produkts des Landes werden in Istanbul erwirtschaftet.
Alexandra Appel
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