16.04.2013 (nmf)
Wo ein Gen sitzt, das für häufige Kreislaufzusammenbrüche verantwortlich ist, hat eine deutsch-australische Forschergruppe in Zusammenarbeit mit einem Marburger Wissenschaftler herausgefunden.
Die Forscher berichten am Dienstag (16. April) über ihre Ergebnisse in der Medizinzeitschrift "Neurology".
Wer oft in Ohnmacht fällt, hat die Veranlagung hierzu nicht selten von Vater oder Mutter geerbt. „Meist spielen dabei mehrere Gene zusammen mit Umweltfaktoren eine Rolle", erläutert Dr. Karl Martin Klein von der
Philipps-Universität. Er ist nicht nur Erstautor der aktuellen Studie, sondern auch Mitarbeiter des Epilepsiezentrums. In manchen Fällen reicht jedoch ein einziges Gen aus, um häufige Kreislaufkollapse hervorzurufen. Das fand die Gruppe heraus, indem sie Familien untersuchte, in denen derartige Anfälle gehäuft auftreten. Die Wissenschaftler ermittelten auch den Ort auf den Chromosomen, an dem eine solche Erbanlage lokalisiert ist.
Kreislaufzusammenbrüche sind alles andere als selten: Jeder Vierte erleidet mindestens einmal im Leben einen solchen Anfall, bei dem sich die Blutgefäße reflexhaft weiten. Die Folge: Der Blutdruck sackt ab, der Kreislauf kollabiert, das Gehirn wird schlecht durchblutet und es kommt zu einer vorübergehenden Bewusstlosigkeit. Die Autoren der aktuellen Studie untersuchten Familien, in denen bei mehreren Familienmitgliedern so genannte vasovagale Synkopen auftraten. Das sind Ohnmachtsanfälle, die zum Beispiel ausgelöst werden, wenn die Betroffenen Blut sehen oder lange stehen. Weitere typische Auslöser sind Verletzungen und medizinische Maßnahmen, aber auch Furcht und Schmerzen. "Familienstudien sind sehr aussagekräftig, um Genmutationen zu identifizieren, die starke Effekte hervorrufen", erläuterte Klein. "Die Identifizierung solcher Genmutationen kann dazu beitragen, die physiologischen Mechanismen aufzuklären, die Krankheiten zugrunde liegen, und neue Behandlungsmethoden zu entwickeln."
Mittels ausführlicher Telefongespräche, interviewte das Team 44 Familien. Bei sechs der untersuchten Familien ergab sich der Verdacht auf einen autosomal-dominanten Erbgang. Das heißt, bei ihnen genügt die Erbanlage eines Elternteils, damit sich auch bei der nächsten Generation dieselbe Krankheit ausprägt. Die unauffällige Veranlagung des anderen Elternteils reicht nicht aus, um diese Disposition auszugleichen. Die Folge: Bis zur Hälfte der Kinder neigen zu Kreislaufzusammenbrüchen. Um die hierfür verantwortlichen Gene zu identifizieren, untersuchten die Forscher in fünf der betroffenen Familien das Genom mit molekulargenetischen Methoden. In der größten dieser Familien lässt sich der Hang zu Ohnmachtsanfällen auf einen bestimmten Chromosomenabschnitt zurückführen. Das ursächliche Gen konnte bisher jedoch nicht identifiziert werden. "Bei zwei anderen Familien spielt derselbe Chromosomenabschnitt jedoch keine Rolle“, führte Klein aus. Er schließt daraus, dass verschiedene Gene autosomal dominante Ohnmachtsanfälle auslösen können. "Da bei sechs von 44 betroffenen Familien ein autosomal-dominanter Erbgang vorliegt, kann man davon ausgehen, dass dies keine Ausnahmefälle sind", erklärte Klein.
Erst kürzlich hatten die Autoren bereits eine Studie über Ohnmacht veröffentlicht. Dort verglichen sie eineiige mit zweieiigen Zwillingspaaren, bei denen jeweils mindestens ein Zwilling Ohnmachtsanfälle erlitten hat. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass bei zwei Drittel der eineiigen Zwillingpaare beide Geschwister betroffen sind. Somit doppelt so häufig wie bei zweieiigen Zwillingen. Auch dieser Befund legt nahe, dass die Anfälligkeit genetisch verursacht ist, weil eineiige Zwillinge dieselben Gene besitzen. Schließlich stammen sie aus ein- und derselben Eizelle.
Bei beiden Studien arbeitete Klein im Rahmen eines Forschungsaufenthalts bei Professor Dr. Samuel F. Berkovic in Melbourne mit australischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen. Dieser Forschungsaufenthalt wurde durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die University of Melbourne finanziell gefördert.
pm: Philipps-Universität Marburg
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