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Unter dem Milchwald


Inklusives Projekt schafft mitreissendes Theater

12.04.2013 (jnl)
Die Premiere des Theaterstücks "Unter dem Milchwald" von Dylan Thomas am Donnerstag (11. April) in der Waggonhalle wurde ein Triumpf der Theaterpädagogik. 27 Schüler von 16 bis 23 Jahren in 29 Rollen über acht Monate dazu zu bringen, über sich selbst hinauszuwachsen, ist in diesem inklusiven Projekt der Theatergruppen der Elisabethschule und der Carl-Strehl-Schule (CSS) in beeindruckender Weise gelungen.
Insgesamt 105 Minuten ohne einen Moment der Langeweile erlebte man die Träume und Obsessionen von Bürgern der fiktiven walisischen Kleinstadt Llarreggub. Von einem in Erinnerungen krosenden blinden Kapitän über ein die Post ausschnüffelndes Briefträger-Ehepaar bis zu liebeskranken Paaren und einer versoffenen Kneipengesellschaft bekam man ein skurriles, aber nie klamaukiges Sittenbild des emotionalen Alltagslebens geboten.
Die Zuschauer sitzen an allen vier Seiten des Saals um ein im Zentrum errichtetes Podest. Das Geschehen entfaltet sich vornehmlich auf diesen 3 mal 8 Metern sowie darum herum.
Die nicht auf wenige Hauptrollen konzentrierte episodische Handlung ruft in dichter Folge die Darsteller in kleinen Gruppierungen ins Rampenlicht. Die Jugendlichen meisterten mit Bravour die bilderreiche poetische Sprache.
Ganz nach Neigung und Begabung hatten einige nur einen textarmen Auftritt, andere längere Dialogszenen. Etliche tanzten und sangen.
Jemand spielte die Querflöte. Ein Darsteller führte gekonnt eine Handpuppe; und der sehbehinderte Albino Jim Kleuser verblüffte durch stuntreifes sich Fallenlassen-Können.
Obschon es für des Texts Unkundige - trotz einer gelungenen Programm-Broschüre - schwer war, der Vielzahl der Rollen Namen zuzuordnen, ergab das Ganze eine atmosphärisch dichte, vielstimmige Erzählung. Ohne ein Musical daraus zu machen, waren drei Musikstücke eingearbeitet und das gesamte Ensemble trat gelegentlich als Chorus sowie als Klangerzeuger in Erscheinung.
Die durch langjährige Theaterarbeit in der Deutschen Blindenstudienanstalt (BliStA) erfahrene Regisseurin Winkelsträter hat mit dieser Produktion ein kleines Meisterwerk hervorgebracht. Obwohl nur wöchentlich drei Stunden Proben stattfanden, hat sie mit 27 Schülern im schwierigen Alter der Adoleszenz ein mitreissendes Theaterstück verwirklicht.
Auch das großartige Bühnenbild ist ihr Werk. Der ganze Raum samt Stiegen zur Ton- und Lichtregie wurde optimal einbezogen, Erzählertexte - dem großen Saal angemessen - doppelt besetzt gleichzeitig auf beiden Seiten der Bühne vorgetragen.
Blinde Zuschauer wurden maximal berücksichtigt. Über Kopfhörer konnten sie einen von Franziska Lüdtke live gesprochenen Hörfilm dem visuellen Geschehen folgen. Bis zu 20 dieser Funk-Kopfhörer stehen zur Verfügung.
Am Ende der wie im Fluge vergangenen 105 Minuten gab es lang anhaltenden Applaus. Die beiden Schulleiter gaben ihrem Stolz Ausdruck und überreichten Präsente.
Noch drei weitere Aufführungs-Termine sind vorgesehen: am Freitag (12. April) und Samstag (13. April) jeweils um 20 Uhr sowie am Sonntag (14. April) um 18 Uhr ist der "Milchwald" noch zu sehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Nachfrage nach diesem herausragenden inklusiven Theatererlebnis lebhaft sein wird.
Jürgen Neitzel
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