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Tradition ist Trumpf


"Money Talks" von "Arty Chock"

05.04.2013 (jnl)
In Koproduktion mit dem Frankfurter Performance-Kollektiv "Arty Chock" geht das Hessische Landestheater Marburg neue Wege. Die Vorpremiere der Produktion "Money Talks - über Geld spricht man nicht" führte am Donnerstag (4. April) die Zuschauer als Einzelne in Trenchcoat-Verkleidung in einen Abenteuer-Streifzug durch das abendliche "Geldbusiness"-Marburg.
Ausgestattet mit einem Digitalstick-mp3-Abspieler samt Kopfhörer ging die zweieinviertelstündige Wandertour vom Welcome Hotel bis zum Trauma-Kino im Afföller. An allen neun Stationen erwarteten den Teilnehmer junge Performancer, die einen weiterreichten oder in ihrer Rolle die Story vorantrieben.
Jede Viertelstunde ging ein neuer Performance-Gast auf die Strecke, so dass die Darsteller ganz hübsch zu tun hatten, 12 mal hintereinander ihre Rolle zu spielen. Das machte die vier Frauen und acht Männer auch ausnahmslos recht überzeugend und freundlich.
Schade war nur, dass echte verbale Interaktion im Konzept - genau betrachtet - nicht vorkam. Die Performer hatten ihren - allesamt fehlerfrei vorgetragenen - Text vorgegeben, ganz egal was der Gast sagte. Daher fühlte man sich in einigen Fällen wie in einem Bankberater-Dialog, der ähnlich unbeeindruckt von möglichen Kunden-Einwänden abgespult wird wie geplant. Zeitgenössische Computerspiele sind, was Spieltiefe und Interaktivität angeht, längst weit darüber hinaus.
Zwar kann man das nicht einfordern, da eine solche Komplexität die Performer mutmaßlich überfordern könnte. Aber erst durch Überwindung der Passivität - etwa in der Art der "Yes Men" - wäre Performance-Theater wirklich etwas Neues und eine echte Herausforderung.
Ein inhaltliches Element gab der Produktion ihren Namen: das Thema Geld und Geldkritik. Viele der in den Rollen und Tonspur-Einspielungen verwendeten Texte waren intellektuelle Buch-Zitate zur Historie, Soziologie und Philosophie des Geldes.
Passend zur - Europa durchschüttelnden - Staats- und Bankenkrise waren durchaus spannende Gedanken darunter. Leider war man als Privatdetektiv "Spencer Lux" so mit praktischen Weg-Erfordernissen beschäftigt, dass davon nahezu nichts hängenblieb.
Richtig gut hingegen gelang das ans Gefühl gehende Atmosphärische der verschiedenen Spielorte und Darsteller. Der "Arty Chock"-Mann im Pornoshop und die Vamp-Darstellerin in der Cavete sowie die aufwendige Gestaltung eines Geld-Kellertempels hinterließen bleibenden Eindruck.
Ganz besonders hervorzuheben ist die wegbegleitende Tonspur-Sprechstimme des Landestheater-Schauspielers Jürgen Helmut Keuchel. Sein sonorer Schnodder-Tonfall, der manches Hörbuch in die Bestsellerränge katapultieren könnte, trug entscheidend zum Erlebnis des Abends bei.
Man hätte sich gewünscht, dass die einzelnen Spielstationen nicht so isoliert voneinander ihre eigene Substory geboten hätten, statt die Gesamthandlung voranzubringen. So endete die Verfolgungsjagd hinter einem Gaunertypen unlogischerweise bei einem Ganoven, der einem das Grimm-Märchen vom Sterntaler nacherzählte. Das passte nicht wirklich zusammen.
Auch die "Das-kalte-Herz"-Variante der Cavete-Frau wurde weder in der Kathedralen-Episode noch in der "Spielhölle" erzählerisch glaubwürdig aufgegriffen und weitergeführt. Teilweise entstand der Eindruck, jeder Spielort sei eine Insel für sich ohne starke Zusammenhänge zur nächsten Station.
Mag sein, dass die Entscheidungsfindungen eines Kollektivs solche Zusammenstoppelei begünstigt. Das nächste mal sollte aber ein Autor allein die Dramen-Geschichte schreiben, damit sie wirklich wie "aus einem Guss" erlebbar wird.
Unglücklich gewählt war auch die im Konzept verankerte Begrifflichkeit "die Gemeinschaft der Ungläubigen". Wollte "Arty Chock" tatsächlich jenes gute Drittel der deutschen Gesellschaft - Menschen die mit Religion und Kirche nichts anfangen können und wollen - gegen die christlichen Kirchenmitglieder ausspielen?
Gewiss ist es nicht falsch, von einer "Geldreligion" in der westlichen Welt zu reden. Das zum Thema zu machen, ist sogar ein Verdienst dieser "Money Talks"-Produktion.
Nur ist der suggerierte Gegensatz zwischen christlichen Kirchen und Geldreligion in der Realität nicht vorhanden. Der Vatikan gehört zu den milliardenschwersten Aktien-Potentaten des Globus. Auch die deutsche protestantische Kirche ist zum Beispiel der mit Abstand größte Landbesitzer des Bundeslands Thüringen. Eine ernsthafte Analyse müsste also eher die Frage beantworten, warum Christentum und Reichtum - entgegen dem propagierten Anschein - so überaus verbandelt und miteinander vereinbar sind.
Trotz aller offenen Fragen ist "Money Talks" ein unterhaltsamer Performance-Theaterabend. Alle vier vorgesehenen Aufführungstage mit jeweils 12 Detektiv-Durchläufen sind bereits ausverkauft.
Das Hessische Landestheater Marburg und das Performance-Kollektiv "Arty Chock" prüfen derzeit, wann weitere Aufführungstage angesetzt werden könnten. Angesichts zwölf mitwirkender Darsteller sowie diverser Kooperationspartner war das nicht rasch zu klären.
Jürgen Neitzel
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