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Inbrunst beim Public Listening


David Gazarovs "Chopin Lounge" im KFZ

19.06.2008 (sts)
Schnell und präzise wie Tentakel, schossen die Finger auf die Tasten. Der ganze Körper folgte diesen Bewegungen. Dazu atmete der Mann am Klavier stoßartig und schnaubend ein, summte manche Melodiefolgen mit und geriet schon nach kurzer Zeit furchtbar ins Schwitzen.
Dass Klavierspiel eine ganzkörperliche Tätigkeit ist, dass Virtuosität auch das Mitleben der Musik bedeutet, demonstrierte David Gazarov am Dienstag (17. Juni) im Kulturladen KFZ. Auf Einladung der Jazz-Initiative Marburg präsentierte der armenische Pianist und Komponist vor 80 Zuschauern sein Programm "Chopin Lounge“.
Die Werke des berühmten polnischen Komponisten Frederic Chopin waren dabei aber nur die Ausgangsbasis für Gazarovs Ausflüge in den Jazz und zu seinen Eigenkompositionen. Denn Gazarov hatte zwahr eine klassische Klavier-Ausbildung am Konservatorium in Baku absolviert, doch er kam schon sehr früh in Kontakt mit der Jazzmusik. Nach seiner Ausbildung ging er nach Moskau und widmete sich fortan hauptsächlich diesem Musikstil.
Heute tritt er ebenso selbstverständlich bei Wagner- oder Mozart-Festspielen auf wie beim Jazz-Festival in Montreux. Der alte Traum des großen Friedrich Gulda, die Verbindung von ernster Kunstmusik (E-Musik) und populärer Unterhaltungsmusik (U-Musik), scheint in der Gestalt des 43-jährigen Klavier-Virtuosen verwirklicht.
Gazarovs Paraphrasierungen und musikalische Interpretationen zu Chopins Etüden waren nicht nur eindrucksvoll, sondern zeigten auch schon die Verbindungslinien der eigentlich grundverschiedenen Musikstile auf. Seine Eigenkompositionen zeichneten häufig diese Linien nach und machten damit die Übergänge erst wirklich hör- und nachvollziehbar.
In kurzen Ansprachen erläuterte der seit 1991 in München lebende Künstler seine Musik und erklärte anhand kleiner Melodie-Folgen, wie Komponisten von Johann Sebastian Bach über Frederic Chopin bis hin zu modernen Jazz-Komponisten immer wieder die gleichen Tonarten und ähnliche Melodiefolgen nutzten, um bestimmte Stimmungen auszudrücken.
Gazarov im KFZ war ein ganzheitliches Erlebnis. Die Musik stand zweifellos im Vordergrund. Doch auch das visuelle Erleben eines Mannes, der sich mit Leib und Seele in die Musik einfühlt und sich ihr - alles um sich herum vergessend - hingibt, war mehr als eindrucksvoll. Die Jazz-Zeitung beschrieb Gazarov einmal als den "zehn-Finger-Klavier-Kraftwerker“. Das ist eine auf den ersten Blick wenig anerkennende Zuschreibung. Doch wer Gazarov einmal leibhaftig auf der Bühne gesehen hat, dem erscheint der Kraftwerks-Vergleich nicht länger despektierlich: Schnaubend, schwitzend und dampfend wie eine Maschine der Körper, schnell und präzise wie ein Uhrwerk die Finger. Das Ergebnis dieses Zusammenspiels war Hörgenuss pur.
Stephan Sonntag
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