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Hakenkreuz an Autoverkehr


Nazi-Ideologie "Freie Fahrt für freie Bürger"

23.03.2013 (fjh)
"Irgendwann wird man Staaten nicht mehr nach der Größe ihres Schienennetzes, sondern nach der ihres Straßennetzes beurteilen." Schon 1934 hat diese Prognose der damalige deutsche Reichskanzler verkündet. Adolf Hitler war eng mit der Automobilindustrie verquickt.
Unter dem Titel "Freie Fahrt für freie Bürger - der Straßenverkehr in Deutschland und das faschistische Erbe" zeigte Hans-Horst Althaus beim "Politischen Salon" in der Volkshochschule Marburg (VHS) am Freitag (22. März) erschreckende Verbindungslinien zwischen der Nazi-Ideologie und der deutschen Verkehrspolitik bis ins 21. Jahrhundert hinein auf. Wie ein brauner Faden durchzieht das "Recht des Stärkeren" demnach das Verhalten der Verkehrsteilnehmer auf deutschen Straßen.
Bereits in der Reichsstraßenverkehrsordnung hatten die Nationalsozialisten den Vorrang des Autos vor allen anderen Verkehrsteilnehmern verankert. Radfahrer und Fußgänger hatten sich nur auf dem Bordstein voranzubewegen und die Fahrbahn möglichst schnell in rechtem Winkel zur Richtung des Autoverkehrs zu überqueren. Hatten Autos bis in die 30er Jahre hinein noch als Waffe gegolten, so wurden nun die schwächeren Verkehrsteilnehmer zu einer Gefahr erklärt.
Die Grundhaltung hinter dieser Gesetzesregelung verdeutlichte Althaus mit einem Zitat aus einem präfaschistischen Manifest. Das "neue Denken" verwirkliche sich demnach in "Bewegung" und "Stärke". Der "Kraft" der Bewegung müssten die Schwächeren sich unterordnen.
"Bewegung" verstand der italienische Verfasser dieses Pamphlets als Triebkraft für die Entwicklung von Überlegenheit. Bewegung bedeute "Kampf" und "Krieg".
Diese Auffassung hat sich nach Einschätzung von Althaus auch Hitler zu eigen gemacht. Er unterhielt nicht nur enge Beziehungen zum Aubomobilhersteller Mercedes-Benz, der ihm eine offene Luxuskarosse konstruierte, sondern sogar eine persönliche Freundschaft mit dem US-amerikanischen Automobilfabrikanten Henry Ford. Auf Hitlers Druck hin schlossen sich vier Automobilhersteller zur "Auto-Union" zusammen, deren vier ineinander verschlungene Ringe noch heute alle Fahrzeuge der Marke "Audi" zieren.
Autorennen waren für die Nazis nicht nur ein öffentlich inszeniertes Volksvergnügen, sondern zugleich auch eine Vorführung der technischen Überlegenheit der deutschen Industrie. Rennfahrer wie der Nazi Bernd Rosemeier avancierten zu Volkshelden.
Angesichts des allerhöchsten Interesses am Rausch automobiler Geschwindigkeit wurden vorherige Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Reichsstraßenverkehrsordnung auch vollständig aufgehoben. Zwar wurden sie im Zuge der Kriegsvorbereitung wieder eingeführt, um chaotische Zustände auf den Straßen zu vermeiden, doch standen sie im Gegensatz zu Hitlers deutlichem Plädoyer für die ungehinderte schnelle Bewegung der volksgenossen auf deutschen Autobahnen.
Der Slogan "Freie Fahrt für freie Bürger" des Allgemeinen Deutschen Automobilclubs (ADAC) gehe auf niemanden anders als Hitler zurück, erklärte Althaus. Dieser Spruch spiegele seine Überzeugung vom "Recht des Stärkeren" auch im Straßenverkehr wider.
Die vielzitierte Bedeutung der Autobahnen für die Kriegsvorbereitung relatiierte Althaus zwar, doch wies er auf ihre ideologische Bedeutung für die Faschisten hin. Bis heute höre man immer wieder, dass Hitler doch zumindest eine gute Tat vollbracht habe, indem er das Autobahnnetz aufgebaut habe. Tatsächlich sind die Pläne für Autobahnen sowie die Einweihung der ersten Strecken aber bereits vor der Machtergreifung Hitlers erfolgt.
Immer noch fest im Sprachgebrauch verankert seien Namen wie "Volkswagen" ebenso wie Wörter mit dem Begriff "Kraft" für Fahrzeuge und Verkehr. Deswegen weigert sich Althaus auch entschieden, Begriffe wie "Lastkraftwagen" oder deren Abkürzung "Lkw" zu benutzen.
Der mit zahlreichen Statistiken und Zitaten gespickte Vortrag eröffnete einen interessanten und mitunter frappierenden Einblick in die europäische Verkehrsgeschichte. Anekdoten über die ersten eigenen Autos des 73-jährigen Referenten vom Opel P4 bis zum Renault R4 entlockten einigen der gut 50 Zuhörer durchaus ein Schmunzeln oder eigene Erinnerungen. Auch sein flammendes Plädoyer für einen umweltfreundlichen Verkehr ohne Auto stieß im Saal auf große Sympathie.
Umweltzerstörung, Ressourcenverbrauch und vor allem mehr als 11.000 Tote jährlich sind für Althaus triftige Gründe, den Individualverkehr in seiner derzeitigen Form abzulehnen. Als Pfarrer und Notfallseelsorger habe er häufig die Opfer der überbordenden Automobilisierung beklagen müssen, berichtete er nachdenklich. Nicht zuletzt auch deshalb hat der evangelische Theologe sein eigenes Auto schon vor vielen Jahren abgeschafft.
Franz-Josef Hanke
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