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Hintersinniger Humor


Groteske Szenen karikierten den Zustand der Welt

16.03.2013 (fjh)
Beim Zappen mit der Fernbedienung bleibt der Fernseher hängen. Vergeblich versucht das Ehepaar auf der Couch, das deprimierende Bild eines hungernden Kinds in Afrika wegzudrücken. Plötzlich kommt es aus dem Monitor direkt ins Wohnzimmer.
Mit einer kabarettistischen Szene beginnt das Theaterstück "Gegen den Fortschritt" des Consol Theaters Gelsenkirchen. Die sieben grotesken "Szenen über den Zustand der Welt" von Esteve Soler für Zuschauer ab 15 Jahren standen am Freitag (15. März) auf dem Programm der 18. Hessischen Kinder- und Jugendtheaterwoche (KUSS) im Hessischen Landestheater Marburg.
"Wir sind keine Rassisten", beteuert das Ehepaar auf der Couch, während beide krampfhaft versuchen, das fremde Kind aus dem heimischen Wohnzimmer zu vertreiben. Durch einen Dialog in recht "gscheitem" Schwäbisch und eher bemühtem Kölner Dialekt verhalfen die zwei Darsteller der originellen Szene zu zusätzlichem Witz. Rasant und spritzig zeigten sie sehr eindringlich, wie selbstgerechte Beteuerungen eigener Toleranz und Weltoffenheit in einer außergewöhnlichen und beängstigenden Situation leicht in Aggression und Gewalt umschlagen können.
Ähnlich hintersinnig präsentierte die Inszenierung auch den Umgang eines Passanten mit einem Mann, der gerade zuvor von einer Straßenbahn erfasst worden war. Trotz flehentlicher Bitten des Unfallopfers greift der Passant nicht ein. Er weigert sich sogar, einen Krankenwagen zu rufen.
In einen anderen Szene unterhalten sich zwei Freunde miteinander. Beide haben Wirtschaftswissenschaften studiert. Einer hat jetzt eine eigene Religion gegründet.
Mit viel schwarzem Humor und Hintersinn stellte die Inszenierung von Andrea Kramer bekannte Alltagssituationen auf den Kopf. Wenn die Lehrerin den Schulkindern das Märchen "Rotkäppchen und der Wolf" erzählt, dann gerät die Geschichte der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm garantiert zu einer grimmigen Groteske. Die Abschiedsszene eines Liebespaars eröffnet abgrundtiefe Einblicke in eine - nicht nur rechtlich bindende - bedingungslose Vertragstreue.
Den Höhepunkt erreicht das satirische Stück zum Schluss. Die drei Darsteller Dorothea Förtsch, Björn Luithardt und Manuel Moser sind Robben, die Menschenbabys mit einem einzigen Schlag auf den Kopf töten müssen. Schließlich sollen diese armen Geschöpfe nicht allzusehr leiden!
Für das Publikum war diese grandiose Groteske vergnüglich und verstörend zugleich. Sehr langanhaltender Applaus in der vollbesetzten "Black Box" belohnte die hervorragende Leistung der Schauspieler. Noch minutenlang blieben die meisten Theaterbesucher hinterher aber auf ihren Plätzen sitzen, um die satirische Kost langsam zu verdauen.
Franz-Josef Hanke
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