14.03.2013 (jnl)
Eine Art japanisches Königsmärchen hat der Däne Jesper B. Karlsen mit der dramatischen Erzählung "Nikio und der große Samurai" geschaffen. Ihre besondere Verbundenheit mit Japan bekräftigte die Theaterwerkstatt Hannover angesichts der Reaktorkatastrophe von Fukushima mit ihrer Inszenierung, die am Donnerstag (14. März) auf der Studiobühne "Black Box" beim
18. Hessischen Kinder- und Jugendtheaterfestival (KUSS) im Wettbewerb lief.
Das Bühnenbild glich einem der zahlreichen Evakuierungslager in Sporthallen, wo Fukushima-Betroffene nur mit einem Sichtschutz aus Pappe versehene Not-Schlafplätze zugeteilt bekamen. Leider erstreckte sich das Spartanisch-Japanische dann auch auf die Zuschauerplätze, für die Sitzpappen aber keine Bestuhlung vorgesehen war. Die rund 75 Kinder aus 2-3 fünften Klassen im Landkreis störte das nicht, wohl aber klagten die Erwachsenen.
Die in Variationen in ganz Japan verbreitete Märchengeschichte handelt von einem wundersam vor dem bösen Eroberer geretteten Kind des guten Königs, das verborgen aufwächst und später den unrechtmäßigen Herrscher wieder vom Königsthron vertreibt.
In der Inszenierung von Sabine Trötschel war "Nikio" allerdings abweichend von den Vorlagen eine Königtstochter, die einen Jungennamen trug und das Schwertkämpfen lernte.
Der kriegsmüde, ehemalige Samurai Endo lebt als Eremit in einem Bergtal und lehrt das Findelkind alles, was nötig ist. Tatsächlich kommt die Inszenierung mit genau zwei Darstellern aus, arbeitet darüberhinaus aber mit einem Elektronik-Musiker und einem Videokünstler im Hintergrund.
Der Schauspieler Matthias Alber füllte die Rolle des Endo mit einer Ausstrahlung aus Freundlichkeit, Väterlichkeit und innerer Ruhe. Auch die sportlichen Herausforderungen als Kampfkunstlehrer meisterte er souverän.
Als sehr wandlungsfähig erwies sich Elke Cybulski als Darstellerin der Nikio und weiterer Nebenrollen. Obwohl rundlich von Gestalt stromerte sie gelenkig wie eine Schleichkatze durch alle Hindernisse.
Schwarze Reiter wie in der Hobbit-Trilogie und die geisterhafte Erscheinung des Vaters der Heldin wie im Hamlet zauberten die exzellenten Videoprojektionen von Jürgen Salzmann mitten hinein in das Bühnengeschehen. Ob sich auch andere Jugendtheater solche technische Finessen leisten könnten, mit denen sowohl Spannung als auch Humor in den Produktionen neue Gipfel stürmen könnten?
Ebenfalls können sich nur die wenigsten Theater eigene Musiker leisten, die wie Heino Sellhorn in dieser Produktion noch jede Schwerterübung mit Sounddesign zu einem perfekten Waffengeklirr wie im Hörspiel verwandeln. Seine Musikunterlegung war unaufdringlich und doch atmosphärisch wirksam.
Mitten in der Erzählung gab es eine überraschende Zäsur. Da die Unterrichtung am Schwert mit der Bewältigung der Stäbchen anfinge, forderte Endo Nikio auf, an alle Zuschauer fernöstliche Essstäbchen aus Holz auszuteilen. Dazu gab es eine Schale mit ein wenig frisch gekochtem Reis für jeden.
Mit großer Begeisterung ließen sich die durchschnittlich Elfjährigen auf die für viele neue Geschicklichkeitsprobe ein. Im Nachgespräch mit den Theatermachern fiel sogar auf, dass die Fragen der Kinder zu diesem Teil der Inszenierung überwogen.
Dabei kam heraus, dass die durch mehrere Gastspielreisen nach Japan erfahrenen Theaterleute die dort erlebte Gastfreundlichkeit wiederspiegeln wollten. Hannover ist Partnerstadt von Hiroshima.
Kurz zuvor war der zweite Jahrestag der Fukushima-Katastrophe gewesen. Daher hatte die Inszenierung die vier Reiskochgeräte mittels Scheinwerfern in bedrohliches Alarmrot getaucht, so dass sie symbolisch-visuell für die Reaktorblöcke stehen konnten.
Ungefähr zwanzig mal hat die Theaterwerkstatt Hannover ihre Produktion "Nikio und der große Samurai" bereits gespielt. Die Fragen nach dem Theaterbetrieb selbst und wie und wie oft Schauspieler etwas schaffen, danach kamen die zweitmeisten Nachfragen der Kinder.
Obschon die Co-Leiterin der Kindersparte beim Marburger Landestheater, Annette Müller, die kleinen Zuschauer direkt fragte, kam keine klarere Antwort heraus. Nur die Indizien zeigten deutlich, dass die Königskindgeschichte dem jungen Publikum nicht ganz so interessant war wie die Interaktion durch den "Kampf mit den Stäbchen".
Jürgen Neitzel
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