27.02.2013 (jnl)
Den Märchen der Brüder Grimm ganz neue Seiten abzugewinnen, gelingt nicht alle Tage. Karen Duve zeigte, das es geht.
Am Dienstag (26. Februar) las die Schriftstellerin im Historischen Saal des Marburger Rathauses aus ihrem aktuellen Erzählband "Grrrimm". Da die Veranstaltung im Rahmen eines Symposiums zur Emeritierung von Prof. Dr. Thomas Anz stattfand, saßen im vollen Saal diesmal besonders viele Germanisten.
Bereits bei ihrer Vorstellung wurde die Autorin abschließend gefragt, ob sie denn die Überlieferung der Volksmärchen der Brüder Jakob und Wilhelm Grimm nicht wirklich schätze. Man sage ihr nach, dass sie eine große Ernüchterungsautorin sei.
Damit waren die Fragesteller bei der 51-jährigen Ex-Hamburgerin aber an der falschen Adresse. Mit emotionaler Wärme und Vehemenz schilderte Duve ihre zeitlebens enge Beziehung zu der Grimmschen Märchensammlung.
Wie ein Großteil der deutschen Bevölkerung sei auch sie als Kind begeisterte Hörerin und Leserin der bekannten Geschichten gewesen. Diese Neigung sei ihr bis heute geblieben.
Aber zugleich sei sie auch eine ausgepichte Realistin, der manche Wendungen in den Geschichten seit langem nicht einleuchtend erschienen. Wie hält sich zum Beispiel ein Prinz fit, der hundert Jahre warten muß, bis er seine Prinzessin wach küssen kann?
In ihrer Lesung wurde die Eigenständigkeit ihrer Deutung - bei ausgeprägt erzählerischem Witz und sprachlicher Kraft - tatsächlich klar. Ihre Version von "Schneewittchen" heißt ironisch "Zwergenidyll". Sie erwies sich indes als eine psychologisch fundierte Kriminalgeschichte.
Trotz leichter Erkältung intonierte Duve ausdrucksvoll. Die teilweise recht humorigen Wendungen der Geschichte brachten das Publikum immer wieder zum Lachen.
Dabei nahm die Autorin die Figuren durchweg ernst, lieferte keineswegs eine nach Pointen angelnde Satire. Wo im Grimmschen Original - ebenso wie in der zuckrigen Disney-Version - die Zwerge seltsam blass blieben, wurden sie bei Duve zu glaubwürdigen Charakteren mit Herz und Verstand.
In der Publikumsrunde hatte die Schriftstellerin Gelegenheit, eine Menge interessante Details zum Entstehungsprozess ihres Buchs zu schildern. So berichtete sie etwa, dass ihre Verleger von dem Projekt zunächst abgeraten hatten, da ihr einziger Fantasy-Roman eher ein Verkaufs-Flop war. Auch erzählte sie, dass sie persönlich die Original-Grafik mit dem Wolfsgesicht im Internet erworben hatte, die die Vorderansicht des Hardcover-Bands nun schmückt.
Nur deswegen sei sie gezwungen gewesen, eine Wolfsgeschichte für den Band zu schreiben. So entstand dann ihre Rotkäppchen-Variante.
Eigentlich mag sie ausgerechnet dieses Märchen nicht besonders, bekannte Duve. Nachdem sie es mit einigen Prisen Werwolf-Mythen angereichert hatte, ist unversehens eine besonders packende Kurzgeschichte daraus geworden, wie Leser bestätigten.
Eine Stellungnahme wurde der Autorin abverlangt zu dem dieser Tage viel debattierten "politisch korrekten" Austauschen rassistischer Worte in Neuauflagen von Büchern der 50er Jahre. Sie beleuchtete den Sachverhalt von allen Seiten, um dann ein klares Statement "pro" antirassistische Eingriffen zu geben.
Duve machte deutlich, dass sie immer zeitig überlege, ob ihre Wortwahl in Texten für Menschen im Publikum verletzend sein könnte. Auch ihre Zwergenidyll-Geschichte habe sie einem Kleinwüchsigen in ihrer Bekanntschaft zuvor lesen lassen.
Diese Autorenlesung mit der sein ein paar Jahren im ländlichen Brandenburg lebenden Schriftstellerin machte Spaß. Duve erwies sich als eine freimütige, klare Persönlichkeit mit humanistischen Grundzügen.
Jürgen Neitzel
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