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Gewalt


Beeindruckende Premiere von Brechts "Fatzer"

17.02.2013 (fjh)
"Arm und reich sind immer gewesen", ruft der Chor. "Aber sie sollen nicht immer sein", antwortet Frau Kaumann.
Die Frage nach einer gerechtren und menschenfreundlicheren Gesellschaft steht im Mittelpunkt von "Fatzer". Regisseur Stephan Suschke brachte das Fragment von Bertolt Brecht am Samstag (16. Februar) im Theater am Schwanhof (TaSch) eindrucksvoll auf die Bühne.
Vier Soldaten steigen aus ihrem Panzer. Vom Schlachtfeld des Ersten Weltkriegs desertieren sie 1917 nach Mülheim an der Ruhr.
"Der Krieg ist für mich zu Ende", erklärt Johann Fatzer. Kaumann, Büsching und Koch folgen ihm, denn Fatzer organisiert für sie Fleisch.
In Kaumanns Wohnung in Mülheim an der Ruhr tauchen sie unter. Doch seine Frau ist unzufrieden darüber, dass ihr Mann nie alleine ist mit ihr.
Allmählich wächst auch die Unzufriedenheit der anderen. Fatzer hatte ihnen Fleisch versprochen, doch er bringt es nicht rechtzeitig. Mit den Metzgern hat er sich geprügelt, statt unauffällig zu bleiben.
Als er am Boden lag, haben seine Kameraden nicht eingegriffen. Als die Metzger wissen wollten, ob die Drei zu ihm gehören, haben sie ihre Bekanntschaft geleugnet.
In losen Szenen ist diese Geschichte aneinandergefügt. Mitunter gleicht die Sprache Brechts dabei in Stil und apokalyptischer Warnung Textstellen aus der Bibel.
Suschke hat das Stück in Brechtscher Manier inszeniert, indem er den Chor aus Schülern des Gymnasiums Philippinum und die Darsteller abgehackt sprechen und mitunter wie Automaten agieren ließ. Trotz dieses "V-Effekts" kam die Aussage des Dramen-Fragments sehr eindringlich beim Publikum an. Nicht zuletzt die Ausstattung der Bühne von Momme Röhrbein wie auch die Kleidung aller Beteiligten ganz in Schwarz wirkten als Untermalung der bedrohlichen Situation.
Von einem Turm herab wurden Brechts Regie-Anweisungen verlesen. Eingeleitet von Klang-Collagen mit harten Beats, stimmten sie das Publikum auf das nachfolgende Geschehen ein.
Als Fatzer zeigte Sebastian Muskalla eine großartige schauspielerische Leistung. Trotz der abgehackten Sprache kam sehr viel von der emotionalen Auseinandersetzung mit Krieg und Gewalt, Macht und Solidarität, Hilflosigkeit und Rebellion herüber.
Sonka Vogt verkörperte die Frau Kaumann mit einem unauffälligen Facettenreichtum. Mal wirkte sie hart und herausfordernd; dann zeigte sie die zarten Seiten eines schutzbedürftigen Kindes oder das lüsterne Verlangen nach körperlicher Liebe.
Aber auch Daniel Sempf, Stefan A. Piskorz und Tobias M. Walter machten ihre Sache sehr gut. Alle Schauspieler bewegten sich in einer perfekt choreografierten Inszenierung zwischen den Zuschauern, die ringsum saßen und sie oft direkt vor sich hatten.
Den mehrere Minuten langen Schlussapplaus hatten sich alle Beteiligten redlich verdient. Die beeindruckende Auseinandersetzung mit Möglichkeiten eines menschenfreundlicheren Gesellschaftsentwurfs und den Zwängen repressiver Strukturen dürfte viele Zuschauer nachdenklich in die abschließende Premierenfeier oder auf ihren Heimweg entlassen haben.
Franz-Josef Hanke
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