03.02.2013 (jnl)
Mit "Endstation Sehnsucht" von Tennesse Williams bringt das
Hessische Landestheater Marburg einen Klassiker der Nachkriegszeit. Die Premiere am Samstag (2. Februar) auf der "Bühne" am Schwanhof zeigte eine glänzende Umsetzung des Psychodramas.
Die Geschichte um die Torschlusspanik der gescheiterten höheren Tochter Blanche DuBois ist auch eine Tragikkomödie. Ihr Schwager Stanley Kowalsky, in dessen Ehewohnung sie sich selbst eingeladen hat, nimmt ihr ihre kleinen Lügen und ihren Standesdünkel bitter übel.
Ihre sanfte, zugewandte Schwester Stella wird zwischen den beiden geradezu zerrissen. Der Konflikt zwischen weiblichen Selbsttäuschungen und virilem Nicht-Durchgehen-Lassen eskaliert bis zur Ehekrise.
Die Inszenierung von Roscha A. Säidow arbeitet die Beziehungen und Konflikte zwischen den Beteiligten akkurat und packend heraus. Lustvoll reizen und streiten sich die Kontrahenten. Auch träumt sich Blanche die Welt und ihre Rolle in ihr fortwährend schöner als sie ist.
Annette Müller als Blanche ist einmal mehr in ihrer Paraderolle als verführerischer Vamp zu bewundern. Doch der Audrey Hepburn von Marburg gelingt es, auch die mit Lügen und Trinken überdeckten Existanzängste der alternden, unverheirateten Frau rüberzubringen.
Einen starken Eindruck hinterließ Timo Hastenflug als Stanley. Glaubhaft verkörperte er den harten, schlauen Facharbeiter, der gegenüber den Frauen kompromisslos darauf besteht, der Überlegene sein zu müssen.
Seinen Gegenpart gab Johannes Hubert, der seine Nebenrolle als Mitsch schauspielerisch beeindruckend gestaltete. Als potenzieller Ehemann wird er von Blanche angebaggert. Von Ängsten geplagt, dreht und windet sich der verklemmte Kleinbürger und Kumpel Stanleys wie ein Aal.
Überragend schön war diesmal Oda Zuschneid als Stella, die jüngere Schwester der Traumtänzerin Blanche. Strahlend vor Wohlwollen gegenüber ihrer Schwester und zugleich ihren ultramännlichen Ehemann anbetend, schwebte sie durch alle Turbulenzen.
Einzig die Sache mit dem von ihr erwarteten Baby wird in ihrer Interpretation nicht recht glaubwürdig. Die Zerrissenheit in den Loyalitäten zwischen den Streitenden verkörperte sie hingegen eindrucksvoll.
In kleineren Nebenrollen gefielen Felix Maier als jugendlicher Flirt von Blanche, Christine Reinhardt als Hauswirtin und Gerard Skrzypiec als deren Liebhaber und Kumpel Stanleys. Mit slapstickhaften Elementen gaben sie den Streitszenen eine komödiantische Rahmung.
Das Bühnenbild von Julia Plickat bestand aus einer extra für diese Inszenierung gebauten Drehbühne, die in der Mittelachse durch transparente weiße Gazestoffbahnen unterteilt war. Diese Konstruktion übersetzte kongenial die seelische Konstellation: das Kreiseln der Streitenden um sich selbst.
Die Gaze erlaubte mittels der Scheinwerfer räumliche Tiefen. Das Schattenspiel der kartenspielenden Männergesellschaft war visuell äußerst reizvoll.
Grandios war die von Bernhard Range beigesteuerte, geschmackvoll sparsam eingesetzte Musik. Geradezu mit filmischer Wucht grundierten seine Kompositionen die emotionalen Spannungskurven der Aufführung.
Nach knapp zwei Stunden ohne Pause spendeten die Premierengäste lang anhaltenden Beifall. Mit der Marburger "Endstation Sehnsucht" ist Säidow eine nachhaltig anregende und hoch unterhaltsame Inszenierung dieses klassischen Psychodramas gelungen.
Jürgen Neitzel
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