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Wenig Wissen


Menschenrechte und Menschenrechtsbildung beim Politischen Salon

17.11.2012 (fjh)
"Wer kennt ein internationales Dokument, das die Menschenrechte garantiert?" Mit dieser Frage wandte sich Prof. Dr. Gert Sommer am Freitag (16. November) an das Publikum in der Volkshochschule Marburg (VHS). Gemeinsam mit seinem Kollegen Dr. Jost Stellmacher referierte der Marburger Psychologe dort beim "Politischen Salon" über das Thema "Menschenrechte und Menschenrechtsbildung".
Nach verschiedenen anderen Nennungen kam aus dem Publikum schließlich auch der Hinweis auf die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte". Am 10. Oktober 1948 haben die Vereinten Nationen (UN) sie veröffentlicht. Rund 150 Staaten weltweit haben sie seither ratifiziert.
Nun fragte Sommer die Veranstaltungsbesucher nach einzelnen Menschenrechten. Neben dem "Recht auf Leben" und auf "Körperliche Unversehrtheit" kamen auch "Meinungsfreiheit", die "Pressefreiheit" und das "Recht auf Arbeit".
Damit unterscheide sich das Publikum in der VHS deutlich von den Befragten mehrerer Studien, die Sommer und Stellmacher zum Thema Menschenrechtsbildung durchgeführt haben. Ihre Ergebnisse zeigen, dass das Wissen über die Menschenrechte erschreckend gering ist.
Mehr als 85 Prozent der Deutschen räumen bei Befragungen den Menschenrechten einen sehr hohen Stellenwert ein. Das Wissen über sie stehe jedoch in krassem Gegensatz zu dem Respekt, den sie genießen, erklärte Sommer.
Seine verschiedenen Studien zur Menschenrechtsbildung stellte Stellmacher anhand von Schaubildern vor. Ein Dokument über die Menschenrechte habe demnach nur ein Fünftel der Befragten nennen können. Den richtigen Namen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte habe kaum mehr als ein Prozent der Befragten gewusst.
In einer weiteren Befragung hatte Stellmacher den Testpersonen den Ablauf einer Menschenrechtsverletzung beschrieben. Einer Hälfte der Befragten hatte er als Akteur dieser Menschenrechtsverletzung die Vereinigten Staaten von Amerika (USA) genannt, der anderen bei sonst identischem Szenario die deutsche Bundesregierung.
Signifikant öfter waren die Befragten bereit, Menschenrechtsverletzungen der "eigenen" Regierung zu tolerieren als die einer anderen Nation. Das erklärte Stellmacher einerseits mit Autoritätsgläubigkeit und andererseits mit der Identifikation der Befragten mit ihrer nationalen Regierung.
Solche Mechanismen erleichterten Regierungen allerdings die Begründung von Kriegen mit angeblichen Menschenrechtsverletzungen anderer Nationen, erklärte Stellmacher. Gerade der hohe Respekt der Bevölkerung gegenüber den Menschenrechten führe dazu, dass sie als Begründung für staatliches Handeln sehr leicht missbraucht werden könnten.
Wenn Personen an einem Seminar über die Menschenrechte teilgenommen haben, dann sinkt Stellmachers Studien zufolge ihre Bereitschaft, Menschenrechtsverletzungen auch der "eigenen" Regierung hinzunehmen. Ein interessanter Nebenaspekt sei, dass auch fremdenfeindliche Tendenzen abnehmen.
In einer weiteren Befragung hatten Stellmacher und Sommer die Testpersonen aufgefordert, vorgegebene Menschenrechte als verbrieftes Recht oder als nicht sicher anerkannt einzuschätzen. Während die Meinungs- und Pressefreiheit in Westdeutschland signifikant öfter richtig eingestuft wurde als im Osten, kannten die ostdeutschen Testpersonen Soziale Rechte wie das "Recht auf Arbeit" oder das "Recht auf Bildung" deutlich öfter. All diese Menschenrechte sind gültiges internationales Völkerrecht.
Zu erklären sei die unterschiedliche Kenntnis über die verschiedenen Menschenrechte mit der Tatsache, dass die Bundesregierung wie auch die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die jeweiligen Menschenrechte als Kampfbegriff zur Auseinandersetzung mit dem jeweils anderen Staat benutzt habe. Dadurch seien sie auch heute immer noch stärker in den Köpfen der Menschen präsent.
Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte (WSK) würden auch durch die vorherrschende neoliberale Wirtschaftspolitik zurückgedrängt, beklagte Sommer. Zum Beleg zitierte er den ehemaligen UN-Sonderberichterstatter Prof. Dr. Jean Ziegler mit dessen Aussage zum Recht auf Nahrung: "Jedes Kind, das an Hunger stirbt, wurde ermordet."
Schließlich sei auch die Berichterstattung in den Medien recht schwachbrüstig, meinte Sommer. Auch sie behandle die Menschenrechte sehr unterschiedlich und nutze sie als Argumentationshilfe für Kriegsdrohungen oder die politische Auseinandersetzung mit fremden Regierungen.
Als Schlussfolgerung des brillanten Vortrags von Stellmacher und Sommer lag die Notwendigkeit einer systematischen Menschenrechtsbildung schon in der Schule auf der Hand. Doch selbst die - von der UNO ausgerufene - "Dekade der Menschenrechte" habe sogar in Fachkreisen kaum jemand gekannt. Wesentliche Erfolge habe der Aufruf der UN zu einer solideren Menschenrechtsbildung nicht gezeitigt, bedauerte Sommer.
Allerdings wollten die beiden Psychologen das Publikum nicht frustriert nach Hause entlassen. Auch wenn ihre eigenen Forschungsarbeiten anscheinend weltweit die einzigen zu diesem Themenkreis seien, würden sie doch zunehmend häufiger zu Seminaren wie dem in der VHS Marburg eingeladen. Das Interesse daran und das Wissen über Menschenrechte steigen also allmählich an.
Franz-Josef Hanke
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