10.11.2012 (jnl)
In die dritte Saison startete am Freitag (9. November) der Science Slam in Marburg. Auf der Hauptbühne des
Hessischen Landestheaters Marburg maßen sich fünf Kandidaten in der Kunst des populärwissenschaftlichen Kurzvortrags.
Die Wettbewerber stammten aus unterschiedlichsten Fachgebieten von Physik bis Psychologie. Nur mit vorbereiteter Beamer-Präsentation und Headset-Mikrofon musste sich jeder 10 Minuten allein auf der großen Bühne vor 200 fachfremden Zuschauern behaupten.
Der Philosoph Martin Böhnerts stellte sich der Frage, ob Tiere denken können. Souverän hob er die gängigen Mythen von den - je nach Distanz oder Nähe zu den Haustieren - klugen oder dummen Mitgeschöpfen aus dem Sattel.
Schon seit Beginn der modernen Wissenschaftsgeschichte mit den Philosophen René Descartes und Michel de Montaigne gab es - bis in die Gegenwart fortlaufend - zwei einander völlig widersprechende Grundauffassungen. Die "Assimilationisten" sehen einen graduellen Unterschied, ihre Gegner eine unüberbrückbare Differenz zwischen Tier und Mensch.
Der Vortrag war sehr erhellend, weil er in einer alltagsnahen Frage wirklich Überraschendes brachte. Leider vertraute der Philosoph aber allein auf seine Inhalte und zuwenig auf seine darstellerische Performance.
Ganz ähnlich machte es Dr. Oleg Lobachev, der in "Die Informatik und der Stein der Weisen" die Wissenschaftsgeschichte auf ihre Triebkräfte abklopfte. Inhaltlich war das sehr originell; aber die körpersprachliche Umsetzung des - vier lebende Sprachen beherrschenden - Gelehrten war für das Publikum wenig attraktiv.
So erhielt er letztlich die wenigsten Punkte. Die Kunst der Inszenierung und des unsichtbaren "Drahts" zum Publikum ist auch eine zu erlernende Sprachkompetenz.
Den inhaltlich mutigsten Vortrag hielt der Psychologe Dr. Martin Meyer. Erfolgreich untersuchte er in zehn Minuten die Fragestellung, ob "unsere Schulen" klug machen. Heraus kam dabei, dass sie eher dumm machen. Denn sie bringen den jungen Menschen Anpassung bei, aber ermöglichen nur selten Kreativität.
Dieser gesellschaftskritische Ansatz war etwas heikel vor einem Publikum, das auf seine Bildungsabschlüsse etwas hält. Meyer punktete mangels witziger Performance nicht besonders hoch.
Aus der Phalanx der gestandenen Gelehrten mit und ohne Doktorgrad stach der junge Physiker Richard Krämer heraus. Obwohl er laut Moderatorin bereits zwei Science Slams in anderen Städten gewonnen hatte, wirkte sein Vortrag zum Begriff der Energie eher unausgereift und anfängerhaft.
Das völlige Gegenteil bot Dr. Kai Plocienniks Vortrag über die Komplexitätstheorie. Dieses sperrige, unhandliche Thema machte er mit gekonnter Vereinfachung für das Publikum zugänglich. Für diese in hohem Sprechtempo erbrachte Leistung belohnte ihn die Publikumsjury verdient mit dem Gesamtsieg.
Als Spezifikum des Marburger Science Slams gab es wiederum vor dem eigentlichen Wettbewerb einen witzigen, elaborierten Vortrag von Dr. Christine Tretow. Die Theaterwissenschaftlerin und Vize-Intendantin widmete sich diesmal den Freuden und Gefahren der Pseudowissenschaft des Weltuntergangs.
Laut Maya-Kalender steht die Apokalypse gegen Ende 2012 bevor. Astrophysikalisch betrachtet, ist ein Weltuntergang ohnehin unvermeidlich. Die Frage ist immer nur, ob wir Zeitgenossen dabei sind.
Als Moderatorin und Mastermind des Abends machte Tretow eine gute Figur. Dazu gehörte, den Slam-Novizen im Publikum die Spielregeln zu vermitteln, aus dem Saal fünf Juroren auszuwählen und die Kandidaten vorzustellen.
Allerdings wirkte die ausführliche Verlesung der Lebensläufe unnötig langatmig. Dem Publikum hätte es gereicht, wenn - wie früher - Name, Fachgebiet und Herkunftsort der Kandidaten genannt worden wären.
Ein, zwei spaßige - das gewählte Vortragsthema leicht in die Schwebe bringende - Sätze der Moderatorin wären zudem grandios geeignet. Der Gang der einzelnen Wettbewerber zur Bühne könnte musikalisch individuell unterlegt und per Spot-Scheinwerfer ein wenig aufgewertet werden.
Die Rolle des indischen Assistenten Abi erschien etwas unglücklich konzipiert. Den Kandidaten gerade in dem Moment höchster Anspannung - unmittelbar vor ihrem Vortrag - eine "Weisheit aus Indien" an den Kopf zu werfen, ist genau genommen ein Malheur.
Vielleicht könnte man Abi mittels Beamer in Mini-Szenen im Kampf mit den gängigsten Vorurteilen gegen das Fach des jeweils nächsten Wettbewerbers Profil zeigen lassen. Zugleich wäre das ein schöner "Running Gag".
Außergewöhnlich gut gelang diesmal die Einbeziehung der Sitznachbarn bei den fünf Saaljuroren. Hübsch war auch die nach "Comedian Harmonists" klingende RahmenMusik-Einlage "Warum, wieso, weshalb?".
Die Sieger-Geschenke waren spaßig ausgewählt. Nur die sogenannte Siegerurkunde besaß sicher noch einiges Optimierpotenzial.
Ganz großartig gelang das Zeitmanagement der Organisatoren. Nach rund einer Stunde gab es eine 20-minütige Pause. Nach einer weiteren Stunde Slam entließ ein strahlendes Team das Publikum in die Nacht. Wer mochte, konnte sich im Theater-Foyer auch noch ein wenig über das Erlebte austauschen.
Jürgen Neitzel
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