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Acht Prozesstage


Gericht klickte stundenlang Dateien an

05.11.2012 (fjh)
Franz Kafka war Jurist. Eine nachvollziebare Erklärung für die Skurilität seiner Literatur liefert das Verfahren gegen den Gießener Rechtsanwalt Tronje Döhmer vor dem Amtsgericht Marburg. Dort fand am Montag (5. November) bereits der achte Verhandlungstag statt.
Döhmer wird der Begünstigung eines ehemaligen Mandanten bezichtigt. Der Anwalt soll ihm geholfen haben, Gewinne aus betrügerischen Geschäften beiseite zu schaffen.
Döhmer wiederum sieht in der Anklage einen Racheakt des Marburger Staatsanwalts Philipp Smyj-Köbel. Bei einem Prozess, an dem beide beteiligt waren, war der Staatsanwalt durch das Gericht nach einem Ausraster von der Verhandlung ausgeschlossen worden. Dafür wolle er sich nun an Döhmer rächen, meint der Rechtsanwalt.
Kafkaesk ist der Verlauf des Prozesses allemal. Das stellte der achte Verhandlungstag einmal mehr unter Beweis.
Die Verhandlung begann mit Verspätung, weil Richterin Isabel Rojahn um 14 Uhr noch in einem anderen Verfahren verhandelte. Dabei ging es um die Begutachtung von Fotos einer Polizeikamera nach einer Verkehrsübertretung.
Mit gut halbstündiger Verspätung begann dann die Verhandlung gegen Döhmer. Inhalt war die Einführung weiterer Akten aus dem Prozess gegen den ehemaligen Mandanten Döhmers in das Verfahren gegen den Anwalt.
Allerdings lagen diese Akten nur in Kopie vor. Staatsanwältin Kathrin Ortmüller erklärte, die Originale seien in der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft Marburg nicht auffindbar gewesen.
Im Anschluss an dieses Eingeständnis einer nicht gerade ordnungsgemäßen Aktenführung verlas die Richterin ein Gutachten über das Internetangebot des einstigen Mandanten Döhmers. Darin verwies die Gutachterfirma auf Dateien, die auf einer CD abgelegt seien.
Diese Dateien wollte Döhmer anschließend ebenfalls durchgehen. Ortmüller meinte, das sei nicht notwendig; doch Döhmer verwies auf den zustimmenden Beschluss des Gerichts zu seinem entsprechenden Beweisantrag.
Rund eineinhalb Stunden lang klickte eine Schreibkraft der Marburger Justiz unter dem kritischen Blick der Richterin, der Staatsanwältin und des Angeklagten Datei für Datei in den verschiedenen Verzeichnissen der CD durch. Mitunter machten Rojahn oder vor allem Ortmüller Bemerkungen zu einzelnen Angaben oder stellten fest, dass das Speicherdatum vor dem entscheidenen Zeitraum für eine strafrechtliche Relevanz lag.
Auf Döhmers Intervention hin durfte auch das Publikum an den PC der Justizangestellten herantreten und ihr mit über die Schulter schauen. Doch schnell schon waren die Anwesenden diese langweilige Prozedur leid, die allen Beteiligten merklich auf die Nerven ging.
Indes beharrte Döhmer auf seinem Recht. Schließlich wollte er mit dieser zeitraubenden Prozedur nachweisen, dass sein Mandant keinen Betrug begangen hat und er selbst somit eine solche Tat auch nicht hätte begünstigen können.
Gegen 16.15 Uhr unterbrach Rojahn die Verhandlung schließlich. Der nächste Verhandlungstag soll genau eine Woche später am Montag (12. November) ebenfalls um 14 Uhr im Raum 152 des Amtsgerichts Marburg stattfinden.
Für alle Beteiligten stellt die weitere Fortsetzung des Prozesses mit zehn bereits anberaumten Terminen eine erhebliche zeitliche Belastung dar. Die Justiz muss sich hier den Vorwurf einer unnötigen Verschwendung öffentlicher Gelder gefallen lassen. Das gilt insbesondere angesichts der Entscheidung des Landgerichts Marburg, das Verfahren überhaupt erst gar nicht anzunehmen und dem Amtsgericht eine Einstellung zu empfehlen.
Franz-Josef Hanke
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