28.09.2012 (jnl)
Keine Stühle blieben am Donnerstag (27. September) frei bei der Lesung von Andrea Maria Schenkel im
Technologie- und Tagungszentrum (TTZ). Rund 100 Besucher wollten die Autorin live erleben, die im Rahmen des
Marburger Krimifestivals bereits das dritte Mal im Laufe der Jahre auf Lesereise in Marburg Station machte.
Auch in ihrem aktuellen Roman "Finsterau" bleibt die Regensburgerin ihrem Ansatz treu, wirkliche Kriminalfälle aus den Zeitungsarchiven der 20er bis 60er Jahre lebendig zu machen. Diesmal ist es eine junge Frau mit ihrem unehelichen Kleinkind, die beide ausgerechnet im Haus der strenggläubigen Eltern ums Leben kommen.
Als Tatbeschuldigter mit Gedächtnislücken wird der Vater zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Doch in der - gegenüber unehelicher Mutterschaft feindseligen - Dorfgesellschaft der Nachkriegszeit könnten es auch Andere gewesen sein.
Selbstverständlich wird nicht verraten, wie es ausgeht. Hoch spannend indes waren die Schilderungen des ländlichen Milieus und der Beteiligten aus ihrer jeweils ureigenen Sicht auf die Dinge.
Mit Akribie und Liebe zum Detail wird eine vergangene Epoche in ihrer engherzigen Moral gezeigt und was sie aus den Menschen machte. Junge Frauen mit eigenem Willen und Wünschen, die über das Althergebrachte hinauswollten, hatten es verflixt schwer in jenen Zeiten.
In einem stimmigen - sprachlich verdichteten - Stil schuf die Schriftstellerin einen starken Sog, der die Zuhörer mucksmäuschenstill in Bann hielt. Die Moderatorin Alexandra Klusmann hatte danach große Mühe, das stillvergnügte Publikum zu Fragen zu animieren.
Dabei kam allerdings heraus, dass der Buchtitel "Finsterau" zwar auf eine reale Ortschaft im Bayerischen Wald verweist, der Kriminalfall aber nicht dort geschah. Der Zugriff auf vollständige Gerichtsakten in Staatsarchiven ist in Bayern erst nach überlangen 80 Jahren gestattet, so dass die Autorin ihre Geschichte weitgehend freihand erfinden musste.
Seit dem riesigen Erfolg ihres Debüt-Romans "Tannöd" und da nun auch ihre Kinder groß sind, kann sich Schenkel ein - zum ruhigen Schreiben ideales - Ferienhaus 30 Minuten vor New York City leisten. Sie betonte, wie wohltuend die sprachliche Fremdumgebung die Wahrnehmung der Nuancen der eigenen Sprache fördert.
In ihrem derzeitigen Manuskript, das im kommenden Frühjahr herauskommen soll, greift sie einen Fall aus den 20er Jahren auf. Die 50-jährige Autorin hat mit ihrem in Marburg vorgestellten "Finsterau" ihren Ruf als eine der besten Erzählerinnen der deutschen Literaturszene gefestigt.
Jürgen Neitzel
Text 7619 groß anzeigenwww.marburgnews.de