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Erzählerisch erklären


Oliver Bottini las aus "Der kalte Traum"

27.09.2012 (jnl)
Gleich hinter der Idylle nebenan können Abgründe lauern. Den Zerklüftungen in den Seelen und Gesellschaften Ex-Jugoslawiens und ihrer deutschen Exilanten spürt Oliver Bottini nach. Der 46-jährige Krimi-Autor aus München las als Gast des Marburger Krimifestivals am Mittwoch (26. September) in der Mobilitätszentrale der Stadtwerke Marburg (SWM) am Rudolphsplatz aus "Der kalte Traum". Rund 40 Interessierte waren gekommen.
Zwischen den beiden Zeitebenen 1992 und 2010 weben die Handlungsstränge des Romans ein Bild der Verwerfungen durch die Balkan-Kriege der 90er Jahre. Beim Zerfall Jugoslawiens gab es ethnische Säuberungen und andere Kriegsverbrechen, die bei den Betroffenen immer noch nicht vernarbt sind.
Aus dieser Gemengelage entwarf Bottini eine spannende Handlung aus Familendramen und Geheimdienstverwicklungen. Dabei setzte er bei - in diesen Krieg hineingezogenen - deutschen Staatsbürgern kroatischer Herkunft an.
Aus netten - ganz unpolitischen - jungen Männern wurden durch ihre Verwicklung in die nationalistischen Exzesse teils Kriegsverbrecher und Kriegsopfer. Man bekam einen Eindruck, wie dünn der Firnis der Zivilisation tatsächlich ist, wenn Krieg ausbricht.
Es machte Spaß, dem Geschichtenerzähler Bottini in seiner stilsicheren Schilderung der Handelnden zu folgen. In den gelesenen Kapiteln wurden vier der fünf Hauptpersonen und ihre ganz persönlichen Sichtweisen auf das Geschehen ausgeleuchtet.
Auch im Publikumsgespräch erwies sich der Autor als sehr locker und zugänglich. Eingehend schilderte er seine Recherchereisen nach Zagreb.
Dabei entstanden Freundschaften und viele Erkenntnisse über Zusammenhänge, die in das Buch eingeflossen sind. In Kroatien tun sich viele Menschen heute noch schwer, unvoreingenommen die Fakten der eigenen Zeitgeschichte zu prüfen, lautete sein Fazit.
Das vorliegende Buch ist eine in sich abgeschlossene Geschichte, so wie es auch das nächste über nordafrikanische Zusammenhänge sein wird. Die - bislang fünf Bände umfassende - Reihe mit der Kommissarin Louise Boni wird voraussichtlich danach eine Fortsetzung erfahren.
Sehr entspannt reagierten Publikum und Autor auf die kleinen Mängel des Veranstaltungsorts. Mitten in der Lesung verdunkelte ein Zeitschaltmechanismus die Beleuchtung des sonst für Kunden des Nahverkehrs genutzten Raumes.
Auch fing die Veranstaltung nicht wie angekündigt um 19.30 Uhr an, sondern eine halbe Stunde später. Dafür gab es von den Stadtwerken ein Freigetränk sowie Knabbergebäck zur Begrüßung.
Vielleicht war es doch keine so gute Idee, möglichst originelle Veranstaltungsorte zu wählen. Deren Nachteile - wie die oft sehr eingeschränkte Sicht auf den Schriftsteller, Zeitschaltuhren oder Frösche - werden von den Gastgebern der Locations meist vorher nicht genannt.
Bottini hingegen erwies sich auch bei seiner dritten Lesung in Marburg als Pfund. Er wird immer mehr zu dem Europa-Erklärer unter den Romanciers der Gegenwart.
Jürgen Neitzel
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