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Farce mit Freude


Frisch-Stück "Chinesische Mauer" in der Waldorfschule

16.09.2012 (jnl)
Der Schweizer Autor Max Frisch war auch schon einmal populärer. Sein selten gespieltes Stück "Die Chinesische Mauer" hatte am Freitag (14. September) Premiere in einer Aufführung der 12. Klassen.
Die Farce ist ohnehin eine der Gegenwart sehr gemäße Theaterform. Statt - wie in Klassiker-Inszenierungen - so zu tun, als könnte man die historische Kluft gewandelter Mentalität und Moral zeitlos überbrücken, räumt die Farce diese Unmöglichkeit schnurstracks ein und arbeitet damit.
"Die Chinesische Mauer" zeigt auf, dass alte Muster der Geschichte angesichts neuer Rahmenbedingungen unrettbar entwertet sind. Man kann zum Beispiel keine napoleonischen Kriege mehr führen, wenn Atomwaffen die Menschheit auszulöschen drohen.
In der Gestalt des "Heutigen", der - durch einen Reigen historischer Gestalten gehend - auf einen chinesischen Kaiser trifft, rückt Frisch das unausweichbar ins Blickfeld. Die Einwürfe aus heutigem Wissen beeindrucken keinen einzigen Helden der Vergangenheit, seine zeitbedingten Auffassungen zu ändern.
Die titelgebende Mauer wird vorgestellt als ein Versuch, die Veränderung der Welt ein für allemal aufzuhalten und auszusperren. Der Kaiser von China und seine Beamten möchten den "Heutigen" angesichts seiner "Frechheit" mehrfach hinrichten lassen.
Am Ende wird dieser "Intellektuelle" als lästiger Kritiker mit einem Orden kaltgestellt. Das alles kommt dem Publikum merkwürdig bekannt vor, da sich ähnliche Vorgänge auch in der Gegenwart ereignen.
Die Inszenierung von Michael Fischer und Christian Schleuss verzichtete weitgehend auf aktuelle Anspielungen. Mit einer texttreuen Aufführung plus Musik vom Flügel ließ man den jugendlichen Darstellern viel Raum, sich schauspielerisch zu präsentieren und auszuprobieren.
Einige wenige fielen dabei mit übertriebenem Gehabe aus der Rolle. Die allermeisten der rund 40 beteiligten Schüler zeigten jedoch große Spielfreude und Geschick auch in den kleinsten Rollen als höfische Diener.
Als Theater-Talente zeigten sich unter anderem der "Kaiser" Sascha Bernhard, der "Pontius Pilatus" Jonatan Hassan-Runkel, der "Brutus" Paul Fleing und der "Don Juan" Sebastian Noriega. Die Hauptrollen der Kaisertochter "Mee Lan" von Sarah Ebinger und des "Heutigen" von Philipp Meyer wurden etwas blutarm und distanziert gespielt, auch wenn beide sehr textsicher agierten.
Erstaunlich war, dass vor allem das Erscheinungsbild und die Kostümierung nahezu aller Darsteller geradezu perfekt gelungen war. Dieser Teil der Schauspielkunst ist dem Nachwuchs offenbar alltäglich vertraut und zugänglich.
Von den weltgeschichtlichen Zusammenhängen um Gesellschaft, Krieg, und Frieden, mit denen das Stück daherkommt, hatten die Oberstufenschüler sichtbar weniger zu tun. Da traf es sich gut, dass eine Farce sich selbst nicht allzu ernst nimmt.
Das Bühnenbild von Thomas Ziegenbalg war aufwändig und prachtvoll. Der riesige Tempel-Gong und der Thron des Kaisers füllten die ohnehin große und durch einen Vorbau noch erweiterte Bühne ästhetisch sehr befriedigend.
Die offenbar nur in der Waldorfschule praktizierte Tradition, dass alle Schüler eines Jahrgangs gemeinsam eine Theateraufführung einstudieren, ist einfach großartig. Selbst wenn viele dabei nur kleine Rollen zu spielen hatten, bringt das für die Selbsterfahrung wie für das Publikum doch unersetzliche Erlebnisse.
Jürgen Neitzel
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