Logo: marburgnewsMobile Marburgnews

Zum Menü

Kampf gegen Nazis


Ein Computerspiel setzt Maßstäbe

08.09.2012 (mal)
Totgesagte leben länger. Das Computerspiel "Nibiru: Der Bote der Götter“ demonstriert das in einzigartiger Weise.
Bereits 2008 wurde es veröffentlicht. Seither hat es zahlreiche Auszeichnungen erhalten. Im Bereich der sogenannten "Point-and-Click-Adventures“ ist das Spiel heute schon ein Klassiker.
Ende der 80er und zu Beginn der 90er Jahre war das Adventure-Genre sehr populär. Dann begann jedoch die immer ausgefeiltere Technik, neue Spieltypen hervorzubringen.
Ego-Shooter, Action- und Rollenspiele revolutionierten die Spielewelt. Das Vorantreiben des Adventure-Genres durch weitere Innovationen scheiterte oft an der fehlenden Akzeptanz der Spieler.
Die immer jünger werdende Zielgruppe bevorzugte weniger kopflastige Spiele. So stagnierte der Adventure-Markt, während der Gesamtmarkt explosionsartig anwuchs.
Das Hamburger Medienunternehmen "dtp-entertainment" verhalf dem Genre dann allerdings doch noch zum Sprung in das 21. Jahrhundert. Mit der Black Mirror-Triologie drangen die Produzenten in Bereiche vor, in die sich kein Unternehmen mehr gewagt hatte.
Der Erfolg gab ihnen Recht. "Nibiru: Der Bote der Götter“ wurde als offizieller Nachfolger produziert.
Uralte Geheimnisse und große Gefahren warten in diesem Abenteuer der Extraklasse. Protagonist ist der junge Archäologe Martin Holan.
Sein Onkel schickt ihn nach Tschechien, um einen alten Tunnelkomplex aus dem Zweiten Weltkrieg zu untersuchen. Kurz vor Kriegsende waren die Nazis laut Spielbeschreibung in den Besitz von außerirdischer Technologie gelangt. Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Tschechien beendete allerdings alle Experimente.
Auch eine Gruppe Neonazis zeigt Interesse an den Experimenten und will in den Besitz einer außerirdischen Massenvernichtungswaffe gelangen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, in dem der Protagonist mehr als einmal sein Leben riskiert.
Nibiru ist ein reines Rätselspiel. Der Spieler löst verschiedene Rätsel, findet Gegenstände oder Informationen und redet mit anderen Figuren. So treibt er die im Vordergrund stehende Handlung voran.
Schräge Charaktere und witzige Dialoge fehlen leider völlig. Ein Großteil der auftretenden Personen wird eindimensional und profillos dargestellt. Kritisch zu bemängeln ist auch die völlige Emotionslosigkeit des Protagonisten, als sein Onkel von den Neonazis ermordet wird.
Bei den Dialogen können die Spielenden nicht zwischen mehreren Themen wählen. Die Person wird angesprochen und offenbart ganz automatisch die benötigten Informationen. Mittels einer Sprechblase wird die Kommunikationsbereitschaft anwesender Personen signalisiert.
Dass sich die Produzenten völlig gradlinig auf das Wesentliche konzentriert haben, wird hier sehr deutlich. Dennoch sollte ein Abenteuerspiel aus mehr bestehen als nur dem sturen Folgen einer Handlung.
In anderen Spielen wurden Gefühle und persönliche Wendepunkte viel deutlicher visualisiert. Im Gegenzug gab es dafür aber auch unendlich viele unnütze Gegenstände, die im Laufe der Handlung gesammelt wurden und erst sehr viel später einen Sinn ergaben.
Nibiru schlägt hier einen anderen Weg ein. Hier werden zwar auch sehr viele Gegenstände gesammelt; sie werden aber auch im selben Kapitel und meistens sogar noch in derselben Szene eingesetzt. Ist ein Gegenstand momentan nicht wichtig, taucht er auch nicht auf.
Der Protagonist gibt selbständig Hinweise und teilt dem Spieler mit, das er etwas braucht und wo er es finden könnte. Allerdings mangelt es an grafischen Hervorhebungen, sodass Spielende einzelne Szenen sehr häufig Pixel für Pixel absuchen müssen, ehe der entsprechende Gegenstand zu finden ist.
An anderen Stellen wurde dem Spieler sehr viel Frustration erspart. In den klassischen Spielen konnte man alles anklicken oder den Versuch unternehmen, Gegenstände zu kombinieren. Die Spielfigur verkündete dann jedes Mal, dass eine Handlung nicht möglich sei oder keinen Sinn ergebe.
Die Steuerung von "Nibiru" ist indes einfach gewählt und leicht zu verstehen. Mit der linken Maustaste können Spielende einzelne Objekte untersuchen. Durch ein Klicken mit der rechten Maustaste kommt es zum Interagieren des gewählten Objekts.
Am unteren Bildschirmrand befinden sich die gesammelten Objekte, die der Spieler in seinem Besitz hat. Durch ein Klicken rechts in den oberen Bildschirmbereich gelangt der Spieler zum Spielmenü. Objekte, die schon untersucht wurden und nicht mehr benötigt werden, kann man danach nicht mehr näher betrachten. So wird der Spieler keine unnützen Aktionen mit diesen Objekten durchführen.
In dem Spiel tauchen leider relativ viele Tote auf. Drei Morde sind nicht nur völlig sinnlos, sondern auch untypisch für das Genre. Aber sie verdeutlichen eben das allgegenwärtige Gefahrenpotential von Neonazis.
Besonders der erste Mord weckt aufgrund der Inszenierung großes Unbehagen beim Spieler. Der Protagonist findet die erste Leiche nämlich erschlagen in einer Badewanne auf und nimmt das völlig gelassen zur Kenntnis.
Außerdem zeigt er keinerlei Bereitschaft, die örtlichen Behörden zu informieren. Den Fluchtinstinkt unterdrückend, muss der Spieler das ganze Zimmer nach wichtigen Hinweisen absuchen.
Auch die Leiche wird nach brauchbaren Spuren untersucht. Auf eine Nahaufnahme wurde dankenswerterweise verzichtet.
Zwar werden massenhaft Fingerabdrücke und Spuren hinterlassen, aber daraus ergeben sich im weiteren Spielverlauf keinerlei Konsequenzen. Dabei müsste der Protagonist in dem Mordfall Hauptverdächtiger sein.
Immerhin war er mit dem Opfer verabredet und wurde von zahlreichen Zeugen gesehen. Die Produzenten setzen hier völlig falsche Signale, denn in der Realität käme Niemand mit einer derart dilettantischen Vorgehensweise ungeschoren davon.
Das Abenteuer führt den Protagonisten um die halbe Welt. Er besucht Paris, Prag, Mexiko und uralte Maya-Tempel.
Wunderschöne Grafiken - wie man sie schon aus "Black Mirror" kennt - verwöhnen die Augen. Besonders bunt und lebhaft dargestellt wird die lateinamerikanische Kultur.
Vielfältige Symbole und religiöse Bezüge lassen sich mühelos in jeder Szene erkennen. Sie verdeutlichen die tiefe Spiritualität der Bevölkerung.
Düster und bedrohlich hingegen wirkt der Tunnelkomplex der Nazis. Charakteristische Symbole wurden in der deutschen Fassung allerdings komplett entfernt.
Eine erstklassige Soundkulisse und Sprachausgabe umschmeicheln die Ohren. Wenn es zum Beispiel in Prag regnet, stürmt und gewittert, sind auch entsprechende Geräusche zu vernehmen. Auch das Zwitschern der Vögel oder das Marktgeschehen in Mexiko wurden sehr wohlklingend umgesetzt. Das die Maya-Tempel von einem dichten Urwald umgeben sind und mannigfaltige Tiere in der Nähe hausen, ist ebenso eindeutig zu erkennen.
Holan wurde von Matt Damons Synchronsprecher vertont. Weitere Stimmen bekannter Protagonisten aus der Fernsehserie "King of Queens“, haben gleichermaßen gute Auftritte.
Prä-Astronautik und Nazi-Okkultismus sind eine groteske Kombination in dem Computerspiel. Zentrales Thema der Prä-Astronautik ist die Annahme, dass außerirdische Raumfahrer die Erde in prähistorischer oder historischer Zeit besucht und dabei Einfluss auf die Genese des Menschen oder dessen kulturelle und technologische Entwicklung genommen hätten. Angeblich wurden die Außerirdischen von den damaligen Menschen für Götter gehalten und dementsprechend verehrt.
Bestandteile dieser "phantastischen Wissenschaft“ lassen sich auch in dem Computerspiel erkennen. So beruhen die Experimente der Nazis in Tschechien im Wesentlichen auf archäologischen Funden aus Mexiko. Zu Ehren der "Götterastronauten“ haben einige Maya Tempel errichtet, um Wissen und Technik der Fremden zu bewahren. Aufstieg und Fall ihrer Zivilisation ist wohl vorwiegend den Außerirdischen zu verdanken.
Auch eine nicht näher definierte Massenvernichtungswaffe soll in einem der Tempel versteckt sein. Sie erregte schließlich das Interesse der Nazis.
Unter Nazi-Okkultismus lassen sich verschiedene Verschwörungstheorien aus den 60er Jahren zusammenfassen. Sie sollen Aufstieg und Macht der Nazis grob vereinfacht erklären und die nationalsozialistische Terrorherrschaft als nicht verhinderbare schicksalhafte Fügung darstellen. Einige Theorien sprechen von magischen Verstrickungen der Nazis und dämonischen Bündnissen. Auch der Kontakt zu Außerirdischen wird unterstellt. Die Nationalsozialisten hätten demnach den Kontakt mit einer geheimnisvollen außerirdischen Zivilisation gesucht, die über eine ungeheuer mächtige Energie verfügte, mit deren Hilfe man die Welt grundlegend verändern könnte.
Und eben diese rätselhafte Energie taucht auch im Computerspiel auf. Allerdings hatten die damaligen Nazis wohl nicht genügend Zeit zur Verfügung, um die antiken Rätsel zu lösen und die Waffen voll funktionstüchtig zu machen. Die ganze Angelegenheit geriet in Vergessenheit und gewann erst Jahrzehnte später wieder an Bedeutung.
Die Rätsel sind vielfältig und gewinnen im Verlauf des Spiels an Komplexität. Einige Lösungen überschreiten aber ganz deutlich moralische Grenzen. Da die Kontaktperson ermordet wurde, muss der Protagonist auf eigene Faust im Prager Staatsarchiv nach den entsprechenden Informationen suchen. Dazu ist es aber relevant, sich durch geschickte Trickserei und gezielte Ablenkungsmanöver als Mitarbeiter auszugeben, um an die jeweiligen Zugangsberechtigungen zu gelangen.
Ein ehemaliger Angestellter ist gerne bereit, seinen Mitarbeiterausweis zu verschenken, nachdem der Protagonist seinen Alkoholvorrat aufgefüllt hat. Eine übermotivierte Angestellte lässt sich nur ablenken, in dem sie der Protagonist als angeblicher Mitarbeiter der Stadtwerke darauf aufmerksam macht, dass ihr Auto auf einem Gullydeckel steht, der natürlich gerade ganz dringend benötigt wird.
Die Suche nach den passenden Informationen wird zu einer nervenraubenden Odyssee. Die darauf aufbauende Handlung ist nicht minder kompliziert gestrickt.
Weil das Militär den Tunnelkomplex bewacht und der Protagonist aufgrund der wirren Geschichte die örtlichen Behörden nicht informieren will, muss er ebenfalls auf einige besondere Methoden zurückgreifen. Eine hungrige Wache am Eingang des Lagers wird durch ein Abführmittel in seinem Abendessen anderweitig motiviert. In dem die Stromversorgung im Lager unterbrochen wird, kann sich der Protagonist an den übrigen Soldaten vorbeischleichen.
Der Tunnelkomplex beinhaltet mannigfaltige Geheimtüren und Geheimverstecke. Um sie zu öffnen, muss der Protagonist alle Tunnel untersuchen.
Die meisten auffindbaren Hinweise ergeben hilfreiche Schlüssel. Durchdachte Kombinationsrätsel sind hier an der Tagesordnung.
Eine Lösung erschreckt jedoch durch ein ungewöhnliches Maß an Brutalität. Der Protagonist fängt eine Ratte, bindet ihr Sprengstoff um und schickt sie durch das Loch einer Geheimtür. Erst nach der Explosion lässt sich die Tür öffnen.
Eines der Rätsel ist zu dem noch der deutschen Zensur zum Opfer gefallen. Vier Räder sollten in der ursprünglichen Version so gedreht werden, dass ein Hakenkreuz entsteht. In der deutschen Version allerdings müssen alle Räder nach rechts zeigen.
In der folgenden Videosequenz ist die ursprüngliche Lösung aber noch zu sehen. In der heutigen Zeit ist es eine Unzumutbarkeit, dass Hakenkreuze mutwillig angefertigt werden, um in einem Spiel weiterzukommen.
Aber noch absurder ist der Tausch einer solchen Handlung mit einem Rätsel, das absolut keinen logischen Sinn ergibt. Noch dazu erscheint es ohne Hilfestellung oder Hinweis.
Die Rätsel der Maya sind aus einem anderen Holz geschnitzt. Schieberätsel und mathematische Berechnungen dominieren die zweite Hälfte des Spiels.
16 Kugeln auf fünf verschiebbaren Platten werden nach Farben sortiert. Insgesamt nehmen diese Rätsel deutlich mehr Zeit in Anspruch. Aufgrund des hohen Anteils an Zahlenrätseln sind viele der Lösungen jedoch nicht leicht zu finden.
Das Spiel endet mit einem enttäuschenden Finale. In einem verschollenen Tempel stößt der Protagonist endlich auf die mutmaßliche Massenvernichtungswaffe.
Viel zu leicht lässt er sich allerdings von den Neonazis überrumpeln. Anschließend versuchen sie, die außerirdische Technologie zu aktivieren.
Ein Außerirdischer taucht nun aber auf und lässt alle Neonazis zu Staub zerfallen. Dann folgt der Abspann und der Protagonist lässt am Grab seines toten Onkels alle Ereignisse noch einmal Revue passieren.
Trotz der Mängel und moralischen Entgleisungen ist "Nibiru: Der Bote der Götter“ ein spannendes Spiel mit zum Teil anspruchsvollen Rätseln. Von dem Ende aber war mehr zu erwarten. Es ist sehr offen gehalten und ergibt überhaupt keinen Sinn.
Das Computerspiel lässt das Genre wieder zu neuem Glanz erstrahlen und macht auf das vielfältige Potential aufmerksam, das nur mal wieder genutzt werden müsste. Es ist richtungsweisend für kommende Spielentwicklungen.
Martin Ludwig
Text 7555 groß anzeigen

www.marburgnews.de

© 2017 by fjh-Journalistenbüro, D-35037 Marburg