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Krimi als Rekonstruktion der Zeitgeschichte

07.09.2012 (jnl)
Aus ihrem dokumentarischen Kriminalroman "Doppelmord - eine wahre Geschichte aus dem Vogelsberg" las am Donnerstag (6. September) im Kerner neben der Lutherischen Pfarrkirche St. Marien das Autoren-Duo Dieter Dutzmann und Eva Erlmann. Ein spektakulärer Kriminalfall aus der unmittelbaren Nachkriegszeit wird darin erzählerisch rekonstruiert und so dem heutigen Publikum zugänglich gemacht.
Stark arbeitsteilig entstand der Roman aus den historisch akuraten Recherchen des früheren Diplom-Ingenieurs Dutzmann und der Leidenschaft für Psychogramme von Erlmann. Er fragte die Psychologin, ob sie sich in sein Projekt einbringen wolle.
Gemeinsam fanden sie eine stimmige Form, ihre jeweiligen Schwerpunkte kooperativ zu verknüpfen. Er schrieb die Fakten, Szenarien und Handlungen und sie nahm aus der Rolle der Protagonistin heraus ausgiebig Stellung zu seiner Darstellung der Emotionen und Abläufe des damaligen Geschehens.
Im dokumentarischen Roman selbst besucht ein Autor die im Strafvollzug wegen Mordes an ihrem sexuell übergriffigen Vater einsitzende Täterin Greta. So wird aus einem fiktiven Abstand von 20 Jahren die Ereigniskette des Jahres 1946 lebendig, in dem alles geschah.
Als alleinerziehende Mutter einer achtjährigenTochter und Ausgebombte zieht die 26-jährige Greta per Familienzusammenführung zu ihrem Vater und dessen Lebenspartnerin in ein Dorf im Vogelsberg. Ihr eigener Partner ist in russischer Kriegsgefangenschaft.
Auf dem Bauernhof muss sie körperlich schwer arbeiten, bekommt dafür indes wenig Anerkennung und nicht einmal genug zu essen. Als ihr eigener Vater dann beginnt, sie sexuell zu bedrängen, wird das ohnehin lieblose Zusammenwohnen auf engstem Raum für sie vollends unerträglich.
Zunächst gelingt es Greta, das Tötungsdelikt als von außen in die Familie hereingebrochenes Ereignis darzustellen. Eine Zeit lang kann sie sich frei bewegen. Häufig fährt sie nach Frankfurt zumSchwarzmarkt.
Am Ende wird sie der Tat überführt und wegen Mordes verurteilt. Das ursprüngliche Todesurteil unter alliiertem Recht wird durch die Gründung der Bundesrepublik 1949 wegen der grundgesetzlich abgeschafften Todesstrafe in lebenslänglich umgewandelt.
Von 1947 bis 1971 saß die - der Geschichte zugrundeliegende - Täterin im Gefängnis. Das ist deutlich länger als die heute geltende Praxis.
Liebevoll gestalteten die beiden Autoren ihre Lesung mit Einspielungen von Musik des Jahres 1946. Die lebenshungrige 26-jährige Protagonistin hatte damals durchaus versucht, dem Leben in Notzeiten sinnlich-emotionalen Genuss abzugewinnen.
Hineinversetzt in die Rolle der Greta, gab Eva Erlmann sehr eingehende Kommentare zu den aus Gerichtsakten gewonnenen Schilderungen ihres Autorenpartners Dutzmann. Man hätte sich gewünscht, das Zeitkolorit der damaligen Lebensverhältnisse und Mentalität im ländlichen wie im städtischen Raum wäre noch ein wenig dichter und detailreicher ausgefallen.
Doch auch ohne volkskundliche Ausgestaltung entstand ein eindrucksvolles Bild der Nachkriegs-Notzeit, von der gegenwärtig nur mehr wenige Zeitzeugen aus eigenem Erleben berichten können. Die knapp zwanzig Besucher der Veranstaltung waren offenkundig sehr angetan. Dem kleinen Lauterbacher Elf-Uhr-Verlag ist die Vorstellung eines schönen Buchs im Rahmen des Marburger Krimifestivals zu verdanken.
Jürgen Neitzel
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