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Kafkaeske Verhandlung


Richterin trotz Lüge nicht befangen

06.09.2012 (fjh)
Als "Lüge" bezeichnete der Rechtsanwalt Tronje Döhmer am Mittwoch (5. September) die Dienstliche Erklärung der Richterin Isabel Rojahn. Darin hatte sie behauptet, gesagt zu haben, sie wolle dem Angeklagten am Ende des Verhandlungstags Einsicht in ihre Entscheidungsunterlagen zur Behandlung seiner Beweisanträge gewähren. Tatsächlich hatte sie diese Einsicht aber nur "vor der Urteilsverkündung" angeboten.
Angeklagt ist Döhmer vor dem Amtsgericht Marburg wegen Begünstigung. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Gießener Rechtsanwalt vor, er habe einem Mandanten dabei geholfen, seine Gewinne aus betrügerischen Geschäften beiseite zu schaffen.
Döhmer wiederum wirft dem Staatsanwalt Philipp Smyj-Köbel vor, die Anschuldigung gegen ihn aus Rache konstruiert zu haben. Für eine belastende Aussage gegen Döhmer habe der Staatsanwalt dem einstigen Mandanten ein geringeres Strafmaß versprochen.
An zwei vorangegangenen Verhandlungstagen hatte Richterin Rojahn bereits den Eindruck erweckt, sie wolle Döhmer nicht unbedingt ein faires Verfahren gewähren. So hatte sie ihm bereits zu Beginn die Einsicht in den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts verweigert und ihn aufgefordert, sich dazu doch an die Gerichtspforte zu wenden.
Von 48 Beweisanträgen lehnte sie am dritten Verhandlungstag 45 Punkte ab. Lediglich drei Forderungen des Angeklagten kam sie nach.
Insbesondere verwarf alle Anträge, mit denen Döhmer eine Vernehmung der Beteiligten am Verfahren gegen seinen früheren Mandanten erreichen wollte. Lediglich mit der Vernehmung eines Polizeibeamten war Rohjann einverstanden. Allerdings sei er zwischenzeitlich leider verstorben.
Ihre Begründungen las Rohjan in einer Geschwindigkeit vor, die selbst der "Schnellsprecher" Dieter Thomas Heck kaum hätte erreichen können. Deshalb bat Döhmer sie um Aushändigung ihrer Begründungen.
Das lehnte Rohjan jedoch ab. Dabei hatte selbst die Staatsanwältin Orthmüller sie freundlich dazu ermutigt. Die Entscheidungsbegründungen werde Döhmer "vor der Urteilsverkündung" erhalten, sagte Rohjan.
Daraufhin stellte Döhmer einen Befangenheitsantrag gegen die Richterin. Ohne die schriftlichen Begründungen könne er Einwände gegen ihre Entscheidungen nicht fundiert vortragen.
Nach einer gut halbstündigen Verhandlungspause erschien die Richterin Nadine Bernshausen im Sitzungssaal. Sie verkündete die Ablehnung des Befangenheitsantrags.
In einer Dienstlichen Erklärung hatte Rojahn gegenüber ihrer Kollegin vorgetragen, sie habe Döhmer die schriftliche Entscheidungsbegründung zum Ende des Prozesstags angeboten. Die anwesenden Prozessbeobachter hingegen übergaben dem angeklagten Rechtsanwalt Eidesstattliche Versicherungen, in denen sie bezeugten, dass Rohjan ihm die Übergabe "vor der Urteilsverkündung" angekündigt hatte. Mit diesen Erklärungen untermauerte Döhmer einen weiteren Befangenheitsantrag gegen Rohjan.
Dennoch führte Rojahn den Prozess fort. Die Richterin erklärte, der erneute Befangenheitsantrag sei bereits durch ihre Kollegin Bernshausen abgelehnt worden.
Die Chuzpe der Richterin kann den Glauben an die Rechtsstaatlichkeit erschüttern. Wenn eine Richterin selbst dann nicht befangen sein soll, wenn sie im Verfahren die Unwahrheit beurkundet hat, dann kann von einem ordnungsgemäßen Verfahren wohl kaum die Rede sein.
Franz-Josef Hanke
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