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Stimmiges Zeitstück


Premiere "Aus der Mitte der Gesellschaft" im Landestheater

02.09.2012 (jnl)
Statt mit in Inszenierungen von Theater-Klassikern die Gegenwart zu reflektieren, kann man auch das Zeitgenössische unmittelbar angehen. Diesen Weg beschritt das Hessische Landestheater Marburg mit dem Zeitstück "Aus der Mitte der Gesellschaft", das am Samstag (1. September) auf der Bühne am Schwanhof Premiere feierte.
Dem erfolgreichen Dramenautor Marc Becker ist es darin gelungen, ein beklemmendes Bild der zeitgenössischen deutschen Mittelschicht zu zeichnen. In den Zeitläuften der Finanz- und Wirtschaftskrise geht es den Menschen ökonomisch nicht unbedingt gut. Aber das möchten sie lieber nicht laut sagen.
Sie haben Angst vor Jobverlust und gesellschaftlichem Abstieg. Daher grenzen sie "Verlierer", Künstler und Zweifler lieber aus, statt sich selbst Zweifel zu erlauben.
Selbst die Häufigkeit ehelichen Geschlechtsverkehrs wird von ihnen daran gemessen, was die Medien als Durchschnittswert verkünden. Immerfort sind sie besorgt, nur nicht negativ aufzufallen.
Die Inszenierung von Marc Wortel arbeitete die schwankende Stimmungslage und unerbittliche Sanktionierung der Abweichler geschmeidig in kleinen Szenen heraus. Der 30-jährige Regisseur führte fünf Ensemblemitglieder durch einen Reigen von Gruppen- und Solo-Aktionen, so dass trotz des Verzichts auf Musikeinspielungen nie Langeweile aufkommen konnte.
Höhepunkte waren die Quiz-Parodie des Unterschichtsfernsehens, die Rituale der Ausgrenzung abweichender Meinungen und Menschen und ein Chorus "Ach ja, ach nee". Denn "glücklich ist, wer vergisst, dass er unzufrieden ist".
Besondere Heiterkeit im Publikum erregte die Verwendung der Mackie-Messer-Melodie mit neuem Text als direkte Anspielung auf die Dreigroschenoper-Premiere des Vorabends. Auch Christine Reinhardt erntete Gelächter, als sie in einer Szene kokett verkündete, nach diesem Abend blieben ihr wohl keine Freunde mehr.
Es hatte Gerhard Polt'sche Qualitäten, wie die "Volkesstimmen" aus den Mündern der Schauspieler ihre ängstlichen und gewaltsamen Neigungen entblößten. Recht passend dazu war die nahezu uniforme Kostümierung in Cremefarben von Kopf bis Fuß, die Renske Kraakman entworfen hatte.
Das Bühnenbild von Christian Werdin war minimalistisch. Aber es überzeugte als Abbild der Rolle der Boulevardmedien. Eine Dunstabzugshaube aus schimmerndem Stahlblech hing über den kettenrauchenden Darstellern als ein Trichter, der gelegentlich Bühnennebel auspustete.
Die Rollen hatten keine Namen. Die Darsteller zeigten indes körpersprachlich und stimmlich samt und sonders beachtliche Leistung.
Uta Eisold, Johannes Hubert, Christine Reinhardt, Daniel Sempf und Tobias M. Walter ernteten nach 75 Minuten dafür stürmischen Applaus des - nur zu zwei Dritteln gefüllten - Saals. Kaum jemand pilgert allerdings gleich zwei Abende hintereinander ins Theater.
Offenkundig traf auch das Angebot des Weidenhäuser Höfe-Fests die Bedürfnisse des breiten Publikums am spätsommerlichen Samstagabend besser als ein anspruchsvolles Theaterstück. Verdient hätte diese intelligente Zeitstück-Inszenierung, dass sich der Zuspruch vielleicht durch Mundpropaganda im Weiteren aufbaut.
Jürgen Neitzel
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