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Brandaktuell


Die Dreigroschenoper begeisterte

01.09.2012 (fjh)
"Erst kommt das Fressen und dann die Moral." Mit dieser Feststellung beginnt "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht. Intendant Matthias Faltz hatte das Theaterstück mit Musik von Kurt Weill und einem Vorspiel sowie acht Bildern für das Hessische Landestheater Marburg neu inszeniert.
Die Premiere am Freitag (31. August) in der Stadthalle war ein furioser Auftakt zur Spielzeit 2012/2013. Auch 84 Jahre nach seiner Uraufführung hat die sozialkritische Revue nichts von ihrer politischen Sprengkraft verloren.
Jonathan Jeremiah Peachum ist der Bettlerkönig von London. Er betreibt eine Art von Franchise-Bettlerbetrieb.
Wer um Geld betteln möchte, muss Prozente an ihn abführen. Dafür weist Peachum ihm einen Platz in der Stadt zu und gibt ihm die entsprechende Lebensgeschichte nebst passender Kleidung mit.
Macheath heiratet Polly Peachum. Ihrem Vater ist die Liaison seiner Tochter mit dem skrupellosen Gangsterboss und mehrfachen Mörder nicht recht.
Aber Macheath besitzt die Rückendeckung des Polizeichefs Tiger Brown (Ogün Derendeli). Der alte Schul- und Militärkamerad des Kriminellen warnt ihn vor unangenehmen Aktionen der Polizei und schützt ihn vor dem Zugriff der Gesetzeshüter. Dafür erhält er einen Anteil an den "Geschäftserlösen" der Gangsterbande.
Doch der Bettlerkönig Peachum treibt den Polizeichef in die Enge. Brown muss seinen eigenen Kopf retten und Macheath dafür opfern.
Faltz hat das gesellschaftskritische Potential der Dreigroschenoper sehr gekonnt herausgearbeitet. Ihre Aktualität und Brisanz gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise ist frappierend.
Die Hauptrolle des Mackie Messer alias Mackeath hat Faltz mit einer Frau besetzt. Oda Zuschneid verkörpert den Kriminellen mit weiß geschminktem Gesicht und nach hinten gekämmten Haaren. Bekleidet ist sie mit Anzug und Schlips.
Durch diesen Kunstgriff hat Faltz die Macho-Allüren des Verbrechers, seine Härte und Skrupellosigkeit auf subtile Weise gebrochen. Letztlich tritt seine Persönlichkeit so noch deutlicher zutage.
Die Musikstücke von Weil sind großenteils zu regelrechten Schlagern avanciert. Mit einer runden Instrumentierung von Andreas Jamin, Christian Keul, German Marstatt, Hans Kreuzinger, Jacob Bussmann, Johannes Eimermacher, Peter Ehm und einem - eigens für die Aufführung einstudierten - Theaterchor sowie dem Gesang der Darsteller trägt sie ganz wesentlich dazu bei, dass die 110 Minuten der Aufführung wie im Fluge vergehen.
Lediglich Sonka Vogt als Polly zeigte dabei gesangliche Schwächen. Offenbar war das bereits in den Proben aufgefallen, denn das von ihr gesungene Musikstück hatte die Band so beschleunigt, dass die Misstöne sehr rasch übergangen wurden.
Insbesondere Gergana Muskalla bewies dagegen herausragendes gesangliches Talent. Als sie die "Seeräuber-Jenny" sang und die Frage, wen sie töten wolle, ganz leise mit "Alle!" beantwortete, da war die Dramatik dieser Situation erschreckend greifbar.
Ansonsten zeigten alle Darsteller sowohl musikalisches als auch schauspielerisches Können. Die Inszenierung war deshalb künstlerisch wie auch in ihrer Kritik am entfesselten Raubtier-Kapitalismus ausgesprochen aussagekräftig.
Wenn Mackie Messer seiner Polly ankündigte, er werde bald ins Bankfach wechseln, da man dort mehr Geld verdienen könne als in seinem derzeitigen Millieu, dann tropfte die Kritik am kriminellen Verhalten von Banken in der derzeitigen Wirtschaftskrise geradezu prall aus der Inszenierung heraus. Wenn Thomas Streibig als Peachum die Verhältnisse und damit die Ohnmacht der "kleinen Leute" kritisierte und Gegenwehr dagegen ankündigte, dann fühlte man sich vielleicht an Blockupy oder die Obdachlosen im Frankfurter Occupy-Camp erinnert. Die Reichen verursachen zwar das Elend, wollen damit aber nicht persönlich konfrontiert werden, erklärte der Bettlerkönig Peachum.
Mit der Inszenierung von Faltz sollte man sich indes durchaus konfrontieren. Im besten Sinne Brechts ist sie ein Lehrstück über Ungerechtigkeit, Gegenwehr und die "Verhältnisse". Zugleich bietet sie aber auch einen kurzweiligen Abend voller beschwingter Musik, lebendigen Schauspiels und interessanter Einblicke.
Die Begeisterungsstürme des Publikums waren absolut verdient. Insbesondere Jenny erntete zustimmende Pfiffe und tosenden Applaus. Aber auch alle anderen Mitwirkenden wurden mit minutenlangem Beifall zu Recht gewürdigt.
Franz-Josef Hanke
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