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Rechtsradikale Jugend


Hafeneger präsentierte Untersuchungen zu Neonazis

05.07.2012 (fjh)
"Bildung für alle" könnte nach Ansicht von Prof. Dr. Benno Hafeneger am ehesten das Abdriften junger Leute in die rechte Szene verhindern. Bei der Abschlussveranstaltung des "Studium Generale" sprach der Marburger Sozialwissenschaftler am Mittwoch (4. Juli) im Auditorium Maximum (AudiMax) der Philipps-Universität über "Rechtsextreme Orientierung in der jungen Generation – Herausforderungen für Erziehung, Bildung und Jugendarbeit“.
Zunächst betonnte er, dass Rechtsradikalismus nicht nur ein Problem der Jugend sei. Faschistoide Gesinnungen habe es seit Gründung der Bundesrepublik durchgehend gegeben. Mit dem Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) sei dieses Phänomen aber verstärkt ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit gerückt.
26.000 Menschen sind nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz Mitglied in 219 rechtsradikalen Gruppen. Hinzu kommen laut Hafeneger aber noch hinzu. Mit Unterstützung verschiedener Geldgeber hat er solche "rechten" Cliquen befragt und die Ergebnisse wissenschaftlich ausgewertet.
Besonders spannend wurde sein Vortrag, wenn er von solchen Befragungen berichtete. So habe eine Clique das Forscherteam am Ortseingang bereits mit lauter Nazi-Musik empfangen. Das machten sie oft so, erklärten die jungen Leute. Nr ein einziges Mal habe sich einer der rund 350 Bewohner über die Texte der Musik beschwert; sonst seien die jungen Leute lediglich wegen der Lautstärke angesprochen worden.
Im Zimmer einer jungen Frau hing groß die schwarz-weiß-rote Reichskriegsflagge. Auf die Frage, warum sie dort hinge und wie sie dort hingekommen sei, antwortete die Bewohnerin, ihr Vater habe sie ihr unter der Bedingung geschenkt, sie irgendwo aufzuhängen, wo sie von draußen nicht sichtbar sei.
Schon mit elf oder zwölf Jahren schlössen sich junge Leute rechtsradikalen Cliquen an. Komme es zu einer Verfestigugng der Beziehungen, so sei ein Aussteigen hinterher sehr schwer.
Hätten Programme gegen "Rechts" vor 20 Jahren, als Angela Merkel noch Familienministrin war, vor allem auf ein Herausbrechen junger Leute aus rechtsradikalen Strukturen gesetzt, so habe Prävention inzwischen die höchste Priorität. Als Grund für diesen Paradigmenwechsel nannte Hafeneger die Erfahrung, dass 60 Prozent der Streetworker ihre Arbeit mit rechtsextremen Jugendlichen bereits nach einem halben Jahr wieder frustriert aufgegeben hätten.
Nach allen Erhebungen sei Neofschismus mehrheitlich jung, mänlich und eher wenig gebildet. Je höher die Bildung eines Menschen sei, umso weniger sei er anfällig für rechtsradikale Ideologien.
Hafeneger berichtete auch von seiner Arbeit als Leiter des Hessischen Beratungsnetzwerks gegen Rechtsradikalismus. Schulen und Vereine können sich dort ebenso Rat einholen wie Firmen oder Behörden.
Eine Kindergärtnerin habe sich an das Beratungsnetzwerk gewandt, weil ein Fünfjähriger mehrmals Hakenkreuze gemalt habe, berichtete Hafeneger. Als sie den Vater einbestellte, habe der Mann nur geäußert: "Hoffentlich hat er sie auch richtig gemalt!"
Laut Hafeneger ist es den Neonazis gelungen, eine Generationenfolge herzustellen. Deshalb müsse Aufklärung und Prävention weit über die Jugend hinaus betrieben werden.
Allerdings sei Neofaschismus schon mehrheitlich von jüngeren Menschen getragen. In der Altersgruppe bis 25 Jahre erreichten rechtsextreme Gesinnungen in einigen Gegenden einen Anteil von bis zu 30 Prozent.
Auch die Nationalsozialistische Partei Deutschlands (NPD) sei wesentlich "jünger" als alle anderen Parteien. Der Altersdurchschnitt ihrer 6.700 Mitglieder liege bei 38 Jahren.
In sechs hessischen Landkreisen hat das Beratungsnetzwerk inzwischen Erhebungen zu rechtsradikalen Cliquen durchgeführt. Dabei habe man in jedem Kreis zwischen zehn und zwölf derartige Jugendcliquen gefunden.
Momentan wolle er eine solche Untersuchung auch im Landkreis Marburg-Biedenkopf beginnen, berichtete Hafeneger. Darüber hinaus habe er beantragt, V-Leute des Verfassungsschutzes auf ihre Haltungen zu Fremdenfeindlichkeit und Gewalt befragen zu dürfen. Besonders spannend bei diesem Vorhaben findet Hafeneger die Frage, inwieweit die V-Leute nur ein instrumentelles Verhältnis zum Verfassungsschutz haben und öffentliche Gelder zum Aufbau rechtsradikaler Strukturen missbrauchen.
Franz-Josef Hanke
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