30.06.2012 (fjh)
Die Geschichte ist fast 5.000 Jahre alt. Die ältesten Fassungen des "Gilgamesch-Epos" unter dem Titel "Der, der alle Könige übertraf" datieren Wissenschaftler auf das 24. Jahrhundert vor Christi Geburt. Dennoch ist der Stoff hochaktuell.
Mit ihrem neu erzählten und inszenierten Theaterstück "Gilgamesch" hat Pruniella Fuchs das am Freitag (29. Juni) in der
Waggonhalle eindrucksvoll aufgezeigt. Nur 20 Zuschauer profitierten leider aber von der gelungenen Umsetzung des sumerischen Heldenepos durch das
Theater Gegenstand.
Vor Beginn der Aufführung lief Fuchs durch das Foyer. Als Fremdenführerin trommelte sie die Teilnehmer an einer Führung durch die historischen Grabungsstätten in der sumerischen Stadt Uruk zusammen. Derweil seien die Archäologen dort noch dabei, die Tontafeln mit der Keilschrift zu sortieren.
Im Theatersaal begann sie dann, den Text der Tontafeln vorzutragen. In sauber gefeilten Hexametern mit fein ziselierten Stilmitteln wie Anapher, Peripher, Chiasmen und Aliterationen trug die Schauspielerin die Geschichte des "großartigen" Gilgamesch vor.
Der Sonnengott selbst hatte Gilgamesch ausgewählt, um ihm Unsterblichkeit zu verleihen. Vom Glanze seiner Sonne strahlte auch Gilgameschs Ruhm.
Doch der Herrscher über die Stadt Uruk war einsam. Denn niemandem schaute er von Angesicht zu Angesicht ins Gesicht, wie auch niemand wagte, ihm direkt in die Augen zu sehen.
Eine dicke Mauer ließ Gilgamesch um seine Stadt errichten. Namen- und gesichtslose Menschen mussten schuften, um seinen Herrschaftsbereich zu sichern.
Doch fehlte dem großartigen König ein Freund. Deswegen wurde sein Herz schließlich krank.
Krank wurde auch das Volk, das unter seiner Herrschaft litt. Krank wurde mit ihm auch die Stadt Uruk.
Damit Uruk und Gilgamesch wieder gesunden konnten, beschlossen die Götter einen gemeinsamen Plan. Ihm musste sich auch der Sonnengott beugen, weil die Göttin der Himmelskuppel und die anderen Götter seine Pläne mit Gilgamesch nicht richtig fanden.
So formte die Göttin des Flusses ein Wesen aus Lehm, dem der Sturmgeist Chumbaba seinen Atem einhauchte. Gleich war es mit Gilgamesch und zugleich doch nicht gleich.
Beide befreundeten sich miteinander. Engidu, wie Gilgameschs neuer Freund genannt wurde, zog mit ihm in den Kampf gegen den Herrscher des Windes.
Der Gott des Windes wohnte im Zedernhain. Von dort blies Chumbaba seinen Hauch über die Steppe hinweg bis nach Uruk.
Gilgamesch fällte die Zedern und baute Boote daraus. Darin transportierte er alle anderen Zedern den Fluss hinab bis nach Uruk.
Aber seinem Gefährten Engidu ging mit diesem Angriff auf den Herrscher des Windes der göttliche Atem aus. Während Chumbara sich jedoch nach zwölf Tagen wieder erholte, starb Engidu nach genau dieser Frist.
Diese Geschichte trug Fuchs mit starker Artikulation überaus fesselnd vor. Hatte die Aufführung aber zunächst als Rezitation begonnen, so änderte sich ihr Charakter mit zunehmendem Verlauf der Geschehnisse mehr und mehr zu einer dramaturgischen Inszenierung.
Zunächst befanden sich die sechs weiteren Mitspieler - vollständig in Säcke gehüllt - fast reglos auf der Bühne. Am äußersten Rand saß Fuchs, die von den Tontafeln das rhythmische Epos vorlas.
Als dann die namen- und gesichtslosen Bewohner der Stadt Uruk die Mauer errichten mussten, erhob sich ein Murren und Knurren unter ihnen. Bald standen sie auf und begannen, rhythmische Rufe auszustoßen.
Wirkten diese Geräusche zunächst noch wie eine fast musikalische Untermalung des Vortrags der Erzählerin, so nahm das Spiel der Mitwirkenden mehr und mehr Gestalt an. Erst kroch Lisa Engel als Engidu noch auf allen Vieren über die Bühne, bevor das Wesen aufstand und zu sprechen begann. Maximilian Berg als Gilgamesch stellte erstaunt fest, dass Engidu ihm direkt ins Gesicht sah und Widerworte gab.
Wieder und wieder unterbrachen nun Spielszenen den Vortrag der Erzählerin. Im wahrsten Sinne nahm das Epos mit all seinen Protagonisten jetzt auf der Bühne Gestalt an. Attila Savast verkörperte den Sturmgeist Chumbaba, dessen Säuseln, Zischen und Brausen ebenso als Geräuschkulisse für den Vortrag der epischen Stimme herhalten musste wie die rhythmische Rufe "Cumba, Chumba, Chumbaba".
Eindringlich war diese Mischung aus Lesung, rhythmischer Untermalung mit stimmlichen Urlauten und Spielszenen. Gerade diese ungewöhnliche Mischung zwischen archaischem Mythos und dazu passendem Spiel zog geradezu sogartig in seinen Bann.
Die Aussage der Geschichte tat ein Übriges dazu: Will der Herrscher unsterblich werden, erkranken daran sowohl sein Volk als auch er selbst. Begeht er Frevel wider die göttliche Natur, müssen geliebte Gefährten sterben.
Am Ende steht die Erkenntnis, dass Unsterblichkeit unmenschlich ist und man sich besser in die Unvermeidbarkeit des Todes fügen sollte. Diese Botschaft haben Fuchs und ihre großartigen Mitspieler spannend und lehrreich zugleich vermittelt. Der hervorragenden Regisseurin ist mit "Gilgamesch" einmal mehr ein Geniestreich gelungen, der aller Aufmerksamkeit der Klugen, der Wissbegierigen und der Kulturhungrigen wirklich wert ist.
Franz-Josef Hanke
Text 7346 groß anzeigenwww.marburgnews.de