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Unbegrenztes Marktvertrauen


Neoliberale Politik ist unredlich

03.06.2012 (fjh)
"Der Markt wird es schon richten." Mit diesem Satz hat Wirtschaftsminister Philipp Rößler die Finanzierung einer Auffanggesellschaft für die Beschäftigten der insolventen Drogeriemarkt-Kette "Schlecker" verweigert.
Angesichts der daraufhin anhängigen Kündigungsschutz-Klagen konnte der Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz keinen geeigneten Käufer mehr für das restliche Unternehmen finden. So werden nun auch die 13.000 Beschäftigten der übriggebliebenen Schlecker-Filialen arbeitslos.
Den FDP-Bundesvorsitzenden ficht das alles offenbar nicht an. Für ihn scheint nur wichtig zu sein, dass er der reinen neoliberalen Lehre treu geblieben ist: "In die Märkte darf der Staat nicht eingreifen!"
Das Ganze nennen die Vertreter dieser Position dreisterweise "Soziale Marktwirtschaft". Ludwig Erhard, der diesen Begriff vor gut 60 Jahren geprägt hat, würde sich angesichts dieses Missbrauchs seiner Begrifflichkeit vermutlich im Grabe umdrehen.
Für ihn bedeutete "Soziale Marktwirtschaft" sehr wohl, dass der Staat in die Wirtschaft eingreift. Um die Wirtschaft sozial auszugestalten, sollte die Regierung ihr nach seiner Ansicht enge Grenzen ziehen und sie auch bewusst lenken.
Von einer Begrenzung der ominösen "Märkte" wollen die neoliberalen Idologen heute freilich nichts mehr wissen. "Freiheit" ist für sie anscheinend nur die Freiheit der Banken und Spekulanten, der Ausbeuter von Menschen und Bodenschätzen sowie der gigantischen Großrechner, die den Börsianern längst das Denken abgenommen haben.
Eingriffe des Staats in die Wirtschaft allerdings lehnen diese Ideologen nicht immer ab. Sobald es um milliardenschwere Subventionen oder Steuerermäßigungen geht, soll der Staat für die Wirtschaft tief in die Taschen greifen. Ist einmal eine größere Bank in Schieflage geraten, dann soll der Steuerzahler dafür bluten!
Außerdem propagieren die Neoliberalen die Privatisierung öffentlicher Leistungen. Angeblich könne "Der Markt" das besser, behaupten sie.
Das Gegenbeispiel kann man derzeit in Marburg bewundern: Nach der Privatisierung der 2005 fusionierten Universitätskliniken in Marburg und Gießen und ihrem Verkauf im Jahr 2006 an die Rhön-Klinikum AG droht nun eine Übernahme des Klinik-Konzerns durch seinen Konkurrenten Fresenius.
Schon jetzt ächzen die Beschäftigten im Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM) über unmenschliche Arbeitsbedingungen. Angesichts des enormen Zeit- und Arbeitsdrucks bleibt die Qualität der Pflege ebenso auf der Strecke wie die Gesundheit des Klinik-Personals.
Außerdem stöhnen die Patienten, die auch in Notfällen nicht immer gleich die erwünschte Hilfe erhalten. Zudem sind die organisatorischen Abläufe im Klinikum auf den Lahnbergen so unübersichtlich, dass Kranke oder ihre Besucher sich oft nicht zurechtfinden.
Protestaktionen gegen den Ausverkauf der Krankenhäuser haben in den beiden mittelhessischen Universitätsstädten schon Tausende auf die Straßen getrieben. Mit einer Pilgerfahrt von Kirchhain-Langenstein nach Marburg schließt sich die Evangelische Kirche am Samstag (9. Juni) der Kritik an einem ungesunden "Gesundheitswesen" an.
Hatte das Land Hessen die Kliniken 2006 mit vielen großen Versprechen veräußert, so steht die Landesregierung nun vor einem Scherbenhaufen. Doch für die Beschäftigten des UKGM und für die potentiellen Patienten tut die CDU-FDP-Koalition in Wiesbaden nichts.
Bemerkenswert ist, dass die Leidtragenden der neoliberalen Ignoranz überwiegend Frauen sind. Denn Krankenschwestern und -pfleger leiden unter den harten Arbeitsbedingungen am Klinikum noch mehr als die - ohnehin schon durch gefährlich lange Nacht- und Wochenenddienste überforderten - Ärzte.
"Der Markt wird es schon richten", orakelt der Arzt Dr. Philipp Rößler. Vielleicht meint er das letzte Wort ja anders, als viele es bisher verstanden haben: "Der Markt wird es schon hinrichten!"
Franz-Josef Hanke
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