31.05.2012 (fjh)
"Es war einmal ein riesiger, gütiger Weltkonzern; der wollte für alle Menschen nur das Beste!" Mit dieser Einleitung charakterisierte Dr. Ruth Tippe von der Münchner Initiative "Kein Patent auf Leben!“ den Umgang internationaler Großkonzerne mit Patenten auf Pflanzen und Tiere. Ihr Vortrag unter dem Titel "Biopatente: Mittel gegen den Hunger oder Angriff auf die Ernährungssouveränität?" hatte am Mittwoch (30. Mai) gut 30 Interessierte in den
Marburger Weltladen gelockt.
Zunächst berichtete die Aktivistin kurz von ihrer Arbeit. Systematisch verfolgt sie alle Patentierungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt in München.
Seit zwölf Jahren erteile die Behörde auch Patente auf Pflanzen und lebende Organismen. Daneben gebe es nach wie vor den "Sortenschutz" gezüchteter Pflanzen.
Mehr und mehr ließen sich Saatgutkonzerne ihre Züchtungen aber auch patentieren. Zuvor habe es Patente nur auf gentechnisch manipulierte Pflanzen und Tiere gegen.
Nach Ansicht der Referentin ist die Patentierung noch problematischer als der - daneben weiter fortbestehende - Sortenschutz. Dem widersprach ein Landwirt im Publikum, der die engen Fesseln beschrieb, die die meisten Züchter den Landwirten beim Anbau ihrer geschützten Pflanzen auferlegen.
So müssen bäuerliche Betriebe vollständig offenlegen, welches Saatgut sie wann in welcher Menge aussäen. Für das Saatgut selbst wie auch für eine spätre Nachsaat müssen sie hohe Geldbetrage abführen.
Zahlen mussten sie auch, als die Getreidesaat im harten Winter 2011 einging. Zwar konnten sie für die Nachsaat im Frühjahr bei den meisten Züchtern einen geringen Preisnachlass aushandeln, doch seien sie durch die Regelung und den vorherigen Ernteverlust doppelt belastet worden.
Diesen -bedingungen stellte Tippe die Regelungen gegenüber, die Landwirte bei der Nutzung von Patienten akzeptieren müssen. Neben Kaufpreis und Kontrolle der Ächer trete dann meist noch eine genaue Anweisung, an wen die Ernte zu verkaufen ist.
Besonders belastend sei diese Vorgehensweise der großen Saatgutkonzerne für die Länder der sogenannten "Dritten Welt". Hier könnten die Bauern kaum das Geld für die Aussaat aufbringen. Ihre traditionelle Lebensweise werde völlig auf den Kopf gestellt, weil sie nun nicht einmal mehr selbst verzehren dürften, was sie anbauen.
Zudem fördert die "industrielle" Landwirtschaft die Verdrängung klassischer Handelsstrukturen über eine Direktvermarktung. Statt der traditioellen Märkte entstehen in Ländern wie Indien neuerdings große Supermarktketten, die ihre landwirtschaftlichen Produkte vorwiegend von den Kunden der Großkonzerne beziehen.
Diese Strukturen führen nach Ansicht von Tippe zu einer Industrialisierung und Monopolisierung der Landwirtschaft. Traditionelle kleinbäuerliche Strukturen geraten dadurch in Existenznot.
Geradezu perfide Methoden wendeten Saatgutkonzerne bei der Entwicklung neuer Patente an. So ergründeten ihre Vertreter in sogenanten Entwicklungsländern Anbauweise, Nutzungen und Wirkstoffe einheimischer Pflanzen. Die von den dortigen Anbauern gewonnenen Erkenntnisse setzten sie dann in neue Patentanträge um, die anhand geringfügiger Veränderung der Ausgangspflanze - beispielsweise durch Erhöhung des Gehalts eines Wirkstoffs durch klassische Züchtungsmethoden - die betreffende Pflanze patentierbar machen solle.
"Pflanzen sind nicht patentierbar", stellte Tippe unmissverständlich klar. Das unlautere Vorgehen beim Ausforschen des - oft jahrtausendealten - Wissens der Bauern bezeichnete sie als "Biopiraterie".
Als Beispiele dafür nannte sie indischen Reis, Brockoli und Tomaten. All diese Pflanzen liegen dem Europäischen Patentamt derzeit zur Patentierung vor.
Schwer erklären konnte Tippe dem verwirrtten Publikum den rechtlichen Rahmen der Patentierung von Pflanzen: Einzelne Sorten seien nicht patentierbar; die jeweilige Pflanzenart indes durchaus!
Dieser unlogische Rechtsrahmen sei für "normale" Verbraucher kaum verständlich. Ohnehin laufen die Patentierungsverfahren weitgehend ohne öffentliche Aufmerksamkeit ab.
Zwar müsse das Patentamt nach einer gewissen Frist alle Patentanträge offenlegen; doch verfolgten unr wenige Experten diese VErfahren mit der nötigen Sachkompetenz. Dennoch war es Tippe und ihrer Initiative gelungen, mit verschiedenen Aktionen und Demonstrationen öffentliche Aufmerksamkeit auf das Problem zu lenken.
Hätten Patentanträge bis zum Jahr 2000 durchaus auch gentechnische Herstellungsverfahren beinhaltet, so sei deren Anzahl ebenso zurückgegangen wie die Gesamtzahl der Anträge. Lediglich bei Neuzüchtungen steige die Kurve in jüngster Zeit wieder etwas an.
Gerade gentechnisch veränderte Nahrungsmittel standen indes im Fokus der Diskussion mit dem Publikum. Die Ablehnung solcher Herstellungsweisen war hier einhellig.
Ein Veranstaltungsbesucher beschrieb die Probleme, die Bauern in Mexiko mit herbizitresistentem Genmais haben. Wenn sie auf ihrem Acker hinterher andere Pflanzen anbauen wollten, lasse sich diese Maispflanze, die nun als "Unkraut" die neue Aussaat beinträchtigt, kaum mehr entfernen.
Die sehr lebhafte Veranstaltung endete mit dem Aufruf an die Verbraucher, ihre Kaufentscheidungen noch mehr auf kleinbäuerliche Produktionsweisen und Bio-Produkte aus regionaler Erzeugung auszurichten. Zudem stellte der Weltladen seine Waren aus fairem Anbau in Ländern der sogenannten "Dritten Welt" bei einer leckeren Verkostung sehr schmackhaft vor.
Der Vortrag war Bestandteil der Veranstaltungsreihe "Ernährungssouveränität und Hunger". Unter "Ernährungssouveränität" versteht Tippe die Fähigkeit nationaler Regierungen, eine - von Monopolen unabhängige - Landwirtshaft aufrechtzuerhalten. Großkonzerne wie Monsanto könnten mittlerweile aber selbst Regierungen bevölkerungsreicher Staatgen in die Abhängigkeit von ihren Monopolen zwingen.
Franz-Josef Hanke
Text 7224 groß anzeigenwww.marburgnews.de