24.05.2012 (ms)
Bislang verborgen gebliebene Varianten altbekannter Proteine haben Marburger Biologen entdeckt. Das berichtete die
Philipps-Universität am Donnerstag (24. Mai).
Die nun gefundenen Eiweißstoffe werden an einen unerwarteten Ort in der Zelle verfrachtet. Bei ihnen handelt es sich um Zucker verwertende Enzyme, die normalerweise nur in der Zell-Grundsubstanz "Zytoplasma" vorkommen.
Durch einen ungewöhnlichen Mechanismus werden diese Proteine mit einem Transportsignal versehen, das ihnen den Weg in die sogenannten "Peroxisomen" weist. Das Forscherteam um Prof. Dr. Michael Bölker von der Philipps-Universität stellt die bislang unbekannten Varianten in der Ausgabe des Wissenschaftsmagazins "Nature" von Donnerstag (24. Mai) vor.
Das Innere von Zellen untergliedert sich in zahlreiche Organellen, die jeweils ganz spezielle Aufgaben erfüllen. Beispiele dafür sind die Energie liefernden Mitochondrien und die photosynthetisch aktiven Chloroplasten.
Zu diesen Organellen zählen auch die Peroxisomen, die am Abbau von Fettsäuren beteiligt sind. Peroxisomale Proteine tragen in der Regel an ihrem Ende eine kurze Signalsequenz mit einer ganz bestimmten Folge von Aminosäuren.
"Zucker abbauende Enzyme gehören zu den am besten untersuchten Proteinen“, erklärte Bölker. "Sie finden sich normalerweise nur in der Zell-Grundsubstanz, dem Zytoplasma. Deshalb war es eine große Überraschung, dass das Glykolyse-Enzym GAPDH in vielen Pilzen in zwei Versionen existiert, von denen eine mit einem peroxisomalen Transportsignal endet.“
Das Team suchte nach weiteren Proteinen, bei denen peroxisomale Varianten gebildet werden. Mit dem Enzym "PGK" fand es ein zweites Beispiel.
Auch PGK ist am Zuckerabbau beteiligt. Der Abbau von Zucker durch Glykolyse ist unter Lebewesen eine der am häufigsten genutzten Möglichkeiten, um an Energie zu gelangen.
Dieser Prozess läuft innerhalb der Zelle nur in der Zell-Grundsubstanz "Zytoplasma" ab. Zumindest war das bisher die gängige Meinung von Biologen.
Warum ist die peroxisomale Lokalisierung dieser gut untersuchten Proteine bislang verborgen geblieben? "Die Lokalisierung erfolgt nur partiell“, beantwortete Erstautor Johannes Freitag die naheliegende Frage. “Das heißt, dass sich die Enzyme auch weiterhin im Zytoplasma finden.“
Noch wichtiger sei die Tatsache, dass die peroxisomalen Varianten nicht schon in der Gensequenz zu erkennen sind, sondern erst während der Umsetzung der genetischen Information entstehen. Das geschehe entweder durch das sogenannte "alternative Spleißen" oder durch Überlesen eines Stop-Codons.
"Daher sind die abweichenden Formen bei der Analyse der Pilzgenome nicht aufgefallen“, erklärte der Wissenschaftler.
Erstaunlicherweise entstehen die peroxisomalen Varianten bei verschiedenen Pilzen auf unterschiedliche Weise: Der Schimmelpilz "Aspergillus nidulans" erzeugt die peroxisomale Form von GADPH mit dem selben Mechanismus, den der Pflanzenschädling "Ustilago maydis" beim Umbau von PGK einsetzt, und umgekehrt.
Bölker und seine Mitarbeiter konnten nachweisen, dass die neu entdeckten Varianten in Peroxisomen eine biologische Funktion ausüben. Zerstört man bei Ustilago maydis die Transportsignale durch Mutation, so verbleiben die Proteine im Zytoplasma und die betroffenen Pilzzellen infizieren ihre Wirtspflanze Mais schlechter.
"Im Fokus der Forschung wird künftig die Aufklärung der biochemischen Funktion der peroxisomalen Zuckerumsetzung stehen“, kündigte Bölker an. Den Forschern ist aufgefallen, dass nur diejenigen glykolytischen Stoffwechselreaktionen auch in Peroxisomen stattfinden, die in beiden Richtungen ablaufen können, so dass Zucker entweder abgebaut oder aber neu aufgebaut werden.
"Vielleicht ermöglicht die getrennte Lokalisierung dieser Enzyme, dass sich die gegenläufigen Reaktionen nicht in die Quere kommen“, vermutete Koautorin Julia Ast. Bölkers Arbeitsgruppe am Fachbereich Biologie gehört auch dem „LOEWE“-Zentrum für Synthetische Mikrobiologie der Philipps-Universität an, das Arbeitsgruppen aus Biologie, Chemie, Physik, Mathematik und weiteren Fachgebieten zusammenführt, um ein quantitatives, dynamisches und modellierbares Verständnis der Funktionsweise von Mikroorganismen zu gewinnen.
pm: Philipps-Universität Marburg
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