19.05.2012 (fjh)
Friedlich geendet haben die Demonstrationen des Aktionsbündnisses Blockupy am Samstag (19. Mai) in Frankfurt. Damit haben die globalisierungskritischen Demonstranten viele skeptische Beobachter positiv überrascht.
Angesichts des flächendeckenden Verbots aller Protestveranstaltungen am Himmelfahrts-Wochenende hatten viele mit gewalttätigen Auseinandersetzungen gerechnet. Wegen sogenannter "Gefahrenprognosen" der hessischen Polizei hatten die Verwaltungsgerichte die Verbotsverfügung der
Stadt Frankfurt größtenteils bestätigt.
Das
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte sich erst gar nicht mit dem Demonstrationsverbot befassen wollen. Seine formalistische Begründung kommt indes nicht nur einer Rechtsverweigerung gleich; die darin ausgedrückte Feigheit vor einem engagierten Eintreten für Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht dürfte das höchste deutsche Gericht viele Sympathien und noch mehr Glaubwürdigkeit gekostet haben.
Trotz des Verbots waren am Mitwoch (16. Mai), am Himmelfahrtstag und am darauffolgenden Freitag (18. Mai) Tausende auf die Straßen gegangen. An der einzigen genehmigten Demonstration am Samstag (19. Mai) haben gut 25.000 Menschen teilgenommen.
An all diesen Tagen haben die Globalisierungskritiker friedlich gegen die Macht der Banken und gegen rigiden Sozialabbau in Europa protestiert. Selbst die Polizei konnte keine größeren Vorkommnisse vermelden.
"Gewaltbereit" war allem Anschein nach allein die Polizei, die - mit Schlagstöcken bewaffnet sowie mit Schilden und Helmen geschützt - mehrere Demonstrationszüge einkesselte. Wasserwerfer standen bereit, um Menschenmengen gegebenenfalls auch mit Gewalt auseinanderzutreiben. Auf Zufahrtsstraßen und Bahnhöfen wurden Anreisende genauestens kontrolliert.
Trotzalledem ist es in Frankfurt ganz friedlich geblieben. Das ist nicht das Verdienst der Behörden, die sich den erfreulichen Ausgang der Aktionen nun dennoch stolz an ihre geschwellte Brust heften.
Nach der faktischen Aushebelung des Demonstrationsrechts ist es an der Zeit, die Verantwortlichen für diese verfassungswidrige Grundrechtseinschränkung zur Rechenschaft zu ziehen. Wenn Neonazis ungehindert durch Gießen und viele weitere hessische Städte ziehen dürfen, dann müssen auch Demonstrationen gegen die Großbanken und den europäischen Fiskalpakt ungehindert stattfinden können.
Auf hysterische "Gewaltprognosen" der Polizei und anderer Behörden dürfen Gerichte künftig nicht mehr bauen. Damit bekäme die Polizei nämlich die Macht, unliebsame Proteste mit Hilfe solcher Vorhersagen zu unterbinden. Dabei weiß jeder vernünftige Mensch, wie unsicher jede Prognose ist!
Im beschaulichen Marburg scheint eine solche Debatte undenkbar zu sein. Die Stadt ist so überschaubar, dass hier jeder fast jeden kennt. Wer hier eine Demonstration mit Verweis auf "gewaltbereite Teilnehmer" verbieten wollte, müsste diese Demonstranten entweder von außerhalb erwarten oder selbst erfinden.
Ein ähnlicher Eindruck bleibt angesichts des friedlichen Protests in Frankfurt auch nach den dortigen Aktionen zurück. Hat die Polizei die angeblich "gewaltbereiten Chaoten" einfach erfunden oder hat sie solche Randalierer gar selbst in Gestalt von Provokateuren einschleusen wollen?
Das Verbotsverfahren gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vor dem Bundesverfassungsgericht lässt diesen Verdacht durchaus möglich erscheinen. Ein Drittel der Spitzenfunktionäre der NPD stellte sich in diesem Verfahren als Agenten der verschiedenen Verfassungsschutzbehörden heraus.
Wenn das BVerfG seine damalige Feststellung ernst nimmt, dann darf es sogenannten "Gefahrenprognosen" der Polizei künftig keinen größeren Stellenwert mehr einräumen als dem Grundrecht aller Bürger auf Meinungsfreiheit. Zummindest dürfen solche Voraussagen nicht zum Verbot von Demonstrationen führen.
Selbst wenn "gewaltbereite Chaoten" an einer Protestaktion teilnehmen, darf ihre Anwesenheit nicht das Grundrecht aller anderen Teilnehmer auf ihre Freie Meinungsäußerung außer Kraft setzen. Das Demonstrationsrecht ist eine unerlässliche Bedingung jeder lebendigen Demokratie.
Damit in Deutschland keine Verhältnisse wie in der Ukraine oder in Aserbeidschan entstehen, müssen alle demokratischen Bürger das Demonstrationsrecht nun zu ihrem eigenen Schutz klar einfordern. Deshalb muss auf die Verbote der Stadt Frankfurt jetzt zumindest eine Debatte in ganz Deutschland folgen, wie Meinungsfreiheit und Demonstrationsrecht künftig besser geschützt werden.
Franz-Josef Hanke
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