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Lebensverändernd


Globalisierung als Herausforderung für Bildung

10.05.2012 (jnl)
Zu den besonders komplexen Themen der heutigen Bildungspraxis zählt die Globalisierung. Als ausgewiesene Sachkennerin des Themas referierte Prof. Dr. Annette Scheunpflug dazu am Mittwoch (9. Mai) im Auditorium Maximum (AudiMax) beim
Studium Generale der Philipps-Universität.
"Die Globalisierung als Herausforderung für Bildung" besteht nach ihrer Auffassung vor allem in vielfältigen Anpassungsleistungen. Der Blick von Lehrern und Schülern müsse sich deutlich auf globale Zusammenhänge ausweiten und die "Probleme der Wahrnehmung" überwinden.
Analytisch schlüsselte sie die Komplexität auf in Sachdimension, Zeit- und Raumdimension sowie Sozialdimension. Die entstehende "Weltgesellschaft" sei allumfassend, aber eben kein geordneter Weltstaat. Kennzeichnend sei zentral die seit Jahrzehnten wachsende wirtschaftliche Kluft und zunehmende Armut.
In der zweiten Dimension beklagte Scheunpflug die ständig wachsende Zeit- und Arbeitsverdichtung sowie die rasende Beschleunigung des sozialen Wandels. Die starke Zunahme von Depressionen in Deutschland deutete sie als mutmaßlich von Erfahrungen der Überforderung ausgelöst.
Zum Dritten sah sie eine "fehlende Verankerung im Raum" auf dem Vormarsch. Das machte sie fest am ökonomischen Zwang zu großer beruflicher Mobilität, der Paare und Familien auseinanderreiße.
Der von Roland Robertson geprägte Begriff der "Glokalität" wurde vorgebracht. Er bezeichnet die durch die digitale Vernetzung bewirkte Änderung des Verhältnisses zwischen dem Lokalen und dem Globalen, die virtuell zu einem Amalgam werden.
Sozialdimensional beschrieb die Referentin eine stark ausgeweitete Fragmentierung, die Zusammenhalt und Gewaltfreiheit in der Gesellschaft gefährde. In den Großstädten kämen mittlerweile bis zu zwei Drittel der Kinder aus Familien mit einem Migrationshintergrund.
In der Ursachenanalyse verwies Scheunpflug auf die Technik-Entwicklung. Fest machte sie das unter anderem am weltweit erhobenen "Data Access Index". Erschwerend für die Erlebniswelt der Menschen komme eine - historisch so nie dagewesene - "Entkopplung von Kultur und Gesellschaft" hinzu.
Lösungswege beständen angesichts der Globalisierung stets aus zwei Komponenten. Zum einen böten Medien, Moden und Konsum individuelle Entspannung in "Reduktion der Komplexität". Zum Anderen fordere das Ziel sozialen Aufstiegs und beruflichen Vorankommens den Einzelnen Anspannung zur "Erhöhung der Eigenkomplexität" ab.
Der Vortrag mündete in einige Thesen, die pointiert die Problemzonen beim Aufgreifen der Globalisierung im deutschen Bildungssystem benannten. Die Zunahme der "Output-Steuerung" durch Standardisierung fand Scheunpflug problematisch.
Die Sozialerziehung - am Beispiel der Gefahren einer Facebook-Nutzung - müsse auf neue Füße gestellt werden. Die "mangelnde Bildungsgerechtigkeit" stelle die Integration der Gesellschaft und ihre Zukunftsfähigkeit in Frage.
Die Diskussion im Anschluss an den Vortrag moderierte Prof. Dr. Udo Kuckartz. Die rund 100 Besucher der "Studium Generale"-Veranstaltung beteiligten sich lebhaft.
Bemerkenswert zugewandt ging Scheunpflug auf die Fragenden ein. Außerdem hatte sie viele Veranschaulichungen und Beispiele parat.
Ein prekär entlohnter Privatdozent bekam Szenenapplaus, als er die Bedingungen für Lehrende und Studierende an der Philipps-Universität als massiv unterfinanziert geißelte. Scheunpflug nannte ein schönes Beispiel ungewöhnlicher Bildungs-Neuausrichtung. Eine Schule in Dänemark setze darauf, ihre Schüler statt zum auswendig Lernen von Wissensfragmenten zu "Chaos-Piloten" mit flexibler Methodenkompetenz auszubilden. Das habe ihr gefallen.
Jürgen Neitzel
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