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Vorurteile gescannt


Bernhard Conrads erhielt Marburger Leuchtfeuer

03.05.2012 (fjh)
"Den perfekten Menschen gibt es gottseidank nicht." Diese Feststellung ist eine Kernaussage von Dr. Bernhard Conrads.
Dem langjährigen Geschäftsführer der Bundesvereinigung Lebenshilfe für Menschen mit geistiger Behinderung (BVLH) und 2. Vorsitzenden der Aktion Mensch (AM) haben die Universitätsstadt Marburg und die Humanistische Union Marburg (HU) das Marburger Leuchtfeuer für Soziale Bürgerrechte zuerkannt. Im Rahmen einer Feierstunde nahm Conrads am Donnerstag (3. Mai) im vollbesetzten Historischen Saal des Marburger Rathauses die Auszeichnung entgegen.
Zunächst sei sein Verhältnis zum heutigen Preisträger eher von scharfer Kritik geprägt gewesen, erinnerte sich der rheinland-pfälzische Behindertenbeauftragte Ottmar Miles-Paul. Auslöser sei damals eine geplante Diskussion mit dem sogenannten "Bio-Ethiker" Peter Singer bei der Lebenshilfe in Marburg gewesen, berichtete Miles-Paul in seiner Laudatio.
Zu seinem Erstaunen habe Conrads aber sehr offen auf die Kritik reagiert. So sei man sich nach und nach immer näher gekommen. Heute sind der Gründer der Interessengemeinschaft Selbstbestimmt Leben (ISL) und der ehemalige Lebenshilfe-Geschäftsführer bereits beim "Du" angekommen.
Dank dieser Bekanntschaft seien Forderungen nach Selbstbestimmungallmählich auch innerhalb der Lebenshilfe verbreitet worden. Inzwischen habe sich das Menschenbild im Umgang mit den Betroffenen auch in der breiten Öffentlichkeit deutlich geändert, freute sich Miles-Paul.
Der ehemalige Schüler der Deutschen Dlindenstudienanstalt (BliStA) erinnerte sich an viele gemeinsame Aktivitäten, bei denen er und Conrads nicht unbedingt immer an einem Strang gezogen haben. Letztlich seien ihre Vorstellungen aber immer klarer aufeinander zu gelaufen.
Als Beispiele nannte Miles-Paul die Aktion Grundgesetz (AGG), die die Änderung des Absatzes 3 im Artikel 3 des Grundgesetzes erstritten hat. Eine weitere Wegmarke war das Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BGG). Ihm müsse nun noch eine entsprechende Regelung auf europäischer Ebene folgen, forderte Miles-Paul.
Conrads sei aber nicht nur ein Mann der praktischen Arbeit für Behinderte, sondern auch ein philosophischer Denker. Dabei beschäftige er sich vor allem mit dem Lebensrecht und Fragen von Bürgerrechten und Respekt.
Seine Hemmung, die Aufgabe des Laudators trotz seiner behinderungsbedingten Schwirigkeiten beim öffentlichen Vorlesen von Texten zu übernehmen, habe ihm letztlich Conrads Kernaussage genommen, meinte Miles-Paul. Wenn kein Mensch perfekt ist, dann könne ja auch seine Laudatio trotz ihrer Schwächen genau passen.
Auf die lebendige und launige Rede von Miles-Paul folgte eine ebenso gelungene Würdigung durch Oberbürgermeister Egon Vaupel. Er betonte vor allem die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschen in Marburg mit behinderten Mitbürgern umgehen. Zwar sei auch in der Universitätsstadt Marburg sicherlich nicht alles barrierefrei, doch arbeite die Stadt mit Nachdruck an Verbesserungen, die nach Vaupels Überzeugung dann sowohl Behinderten wie auch allen anderen Bürgern zugute kommen werden.
Die Preisbegründung der Jury trug anschließend deren Sprecher Matthias Schulz vor. Er verwies auf die neoliberalen Tendenzen, Menschen allein nach Kriterien der Nützlichkeit zu bewerten. Dagegen habe Conrads mit seiner Forderung nach Respekt gegenüber allen Menschen ohne Ansehen ihrer körperlichen, geistigen und seelischen Fähigkeiten ein deutliches Zeichen für mehr Menschlichkeit gesetzt.
Zusammen mit der Urkunde erhielt der Preisträger auch ein Windlicht. Jury-Mitglied Jürgen Neitzel übergab es Conrads in der Erwartung, damit auch an lauen Sommerabenden auf dem Balkon seiner Hofgemeinschaft ein Leuchtfeuer zu entfachen.
Eigens zur Preisverleihung hatte der Musiker Holger Probst ein altes Lied der Behindertenbewegung zur "blauen Karawane" einstudiert, mit dem vor mehr als 20 Jahren bereits der Respekt gegenüber Menschen mit geistiger Behinderung eingefordert wurde. Zudem hatte Probst sogar ein neues Lied geschrieben, in dem er das Alter als "Nachmittag des Lebens" beschrieb.
In seiner Dankesrede sprach Conrads viele Besucher im Saal persönlich an. Außerdem nahm er auch zur Diskussion über den bevorstehenden "Demografischen Wandel" Stellung. Dabei forderte er die Gesellschaft auf, die Lehren aus jahrzehntelanger Arbeit in der Behindertenbewegung auch für Probleme einer alternden Gesellschaft nutzbar zu machen.
Franz-Josef Hanke
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