12.04.2012 (jnl)
Gut 500 Menschen verfolgten am Mittwoch (11. April) gespannt die Grundsatzdebatte um Bologna und den Niedergang universitärer Bildung. Unter dem provokanten Titel "Wie man Bildung erfolgreich verhindert“ hatte das Studium Generale ins Auditorium maximum (AudiMax) der
Philipps-Universität geladen.
Als Ausgangspunkt der Diskussion trug der Würzburger Bildungsforscher Prof. Dr. Andreas Dörpinghaus seine vier Thesen zum Thema "Eine Kritik der Halbbildung“ vor. Anschließend stellte er sich auf dem Podium den kritischen Fragen und Anmerkungen von drei Professoren-Kollegen und einer Studentin im dritten Semester.
Die Gedanken von Dörpinghaus waren brisant. Ihre geschliffene Formulierung hatte einige Wucht. Man merkte, dass dieses Thema ihn leidenschaftlich bewegt.
Laut Dörpinghaus sind Universitäten und Schulen dabei, "zu Orten der Verdummung sowie Halbbildung“ zu werden, weil die Bologna-Reform und ihre Umsetzung lückenlose Überwachung und ständige Kontrolle verlangen. Rationalisierung und Beschleunigung ergäben unter der Herrschaft des Effizienz-Prinzips einen Verzicht auf Wissenschaft.
Die Zerstörung der Universität erfolge weniger von außen, als man gemeinhin denke. Genaugenommen komme sie von innen.
Zu beklagen sei eine Entpolitisierung der Hochschulen, womit nicht Tagespolitik, sondern fehlender Kampfgeist für die Freiheit der Forschung und Lehre in den Reihen der Hochschullehrer und Studierenden gemeint sei. Ohne diesen Geist aber ließe sich die "Autoimmunerkrankung" der Universität nicht besiegen.
Studierende seien angehende Wissenschaftler und keine Schüler. Für die Pointe "Universitäten brauchen Freiheit, sonst sind sie das Geld nicht wert, dass man ihnen die ganze Zeit kürzt“ brandete im Saal Sonderapplaus auf.
Die zugespitzten Thesen von Dörpinghaus führten in der Folge zu einer lebhaften Diskussion unter der Moderation der Bildungsjournalistin Heike Schmoll von der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Tamara Schwalb als Stellvertreterin der Studierenden schilderte die Überfüllung der Lehrveranstaltungen und die Alltagsprobleme des Bachelorstudiums.
Universitätspräsidentin Prof. Dr. Katharina Krause forderte angesichts der eklatanten Unterfinanzierung der Universität "mehr Geld in System". Sie verwies darauf, dass die Seminarräume ursprünglich auf Kapazitäten von rund 25 Studierenden ausgerichtet gewesen seien. Tatsächlich drängten sich heute aber häufig 60 und mehr Studenten darin zusammen. Eine echte Beteiligung eines jeden sei unter diesen baulichen Rahmenbedingungen kaum möglich.
Prof. Dr. Wolfgang Seitter merkte kritisch an, dass über 150 Jahre bis in die 60er Jahre hinein der Anteil der Studenten an der Kohorte der Altersgenossen konstant bei unter 10 Prozent gelegen habe. Seit der Öffnung der Hochschulen in den 70er Jahren habe die Massenuniversität dann für sehr erschwerte Bedingungen gesorgt.
Der Religionspädagoge Prof. Dr. Bernhard Dressler vertrat sogar die Auffassung, die Humboldtsche Idee von der Universität habe es in der Realität nie gegeben. Die Vorstellung, dass die Universität einem Bildungsideal verpflichtet sei und nicht der Berufsausbildung von Akademikern, nannte er haarsträubend unterkomplex.
Dörpinghaus wandte sich gegen die Vorstellung, mit einer Reformierung und Milderung des Bachelor-Systems könne man der Universität wieder auf die Sprünge helfen. Das Problem sei die falsche, internalisierte Logik der Verwaltung und Kontrolle, die Kreativität und Leidenschaft im Studium beinahe verunmögliche.
Krause wies darauf hin, dass nur die Einhaltung der im EU-Rahmen geltenden Kleinteiligkeit der Module und Prüfungen gewährleiste, dass man an der Universität heute akademische Abschlüsse machen könne. Allein in der Medizin gebe es Experimentierfelder; aber das sei unbezahlbar.
Alternativen seien in Hessen flächendeckend abgeräumt worden, sodass die Gegenkontrolle durch ein Nebeneinander von Diplom und Bachelor nicht mehr möglich sei. Aus dem Publikum kam der Einwurf, das gebe es aber sehr wohl in anderen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern.
Seitter stellte die Kernfrage des Abends: Wie könnte man unter den heutigen restriktiven Strukturen und fehlenden Ressourcen dennoch Freiräume eröffnen? Er habe über Jahre als Dekan Gestaltungsspielräume zu nutzen und zu erweitern geübt.
Ebenso wie Krause empfahl er den Studierenden, sich für ihr Studium deutlich mehr Zeit als nur sechs Semester zu nehmen. Früher habe es auch eine Regelstudienzeit von 9 Semestern gegeben; aber der Durchschnitt habe erst nach 12 Semestern den Abschluss gehabt. Dörpinghaus wünschte sich abschließend, man solle gemeinsam "die Universitäten wieder zu etwas machen, das wirklich mit uns zu tun hat".
Jürgen Neitzel
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