02.04.2012 (jnl)
"Ich bereue nichts", nannte sich die musikalische Revue, die am Sonntag (1. April) in der Stadthalle Premiere feierte. Bezugspunkte der neuen Produktion des
Hessischen Landestheaters Marburg waren demnach Gala-Shows des französischen Chansons und des angloamerikanischen Musicals.
Locker zusammengebunden durch eine Wanderzirkus-Geschichte, zeigten sechs Schauspieler und eine fünfköpfige Live-Kapelle, dass das Landestheater durchaus tolles Musiktheater drauf hat. Bekannte Songs wurden durch neue, intelligente deutsche Texte verfremdet und mit einfallsreicher Choreographie verbunden.
Das Ganze reichte im Songmaterial von "Willkommen, bienvenue, welcome" aus "Cabaret" bis zu "Das Model" von Kraftwerk. Das kann man als Generationen übergreifend bezeichnen.
Manche Songs bereiteten vergnügliches Kopfzerbrechen, was ihr Ausgangsmaterial gewesen sein könnte. Das Konzept des musikalischen Leiters Bernhard Range ging auf, keinen x-ten Aufguss von Musical-"Evergreens" aufzubieten. Mit Witz und Ironie bot er abgehangene Schätze gut durchlüftet dar.
Die junge Regisseurin Roscha A. Säidow leistete Exzellentes darin, die Gesangs-Auftritte in ein stimmiges Geschichten- und Bewegungskonzept einzubetten. Erstaunlich war nicht zuletzt die schiere Perfektion, mit der nach nur sechs Wochen Proben die Stücke durchchoreographiert erschienen
Der Zirkuswagen des "Cirque des Etoiles" als - nach vorne geöffneter - Schauplatz der Jazz-Kapelle ließ sich auch auf seiner Dachfläche wunderbar bespielen. Das Bühnenbild von Paul Faltz kam ausgezeichnet.
Die Kostüme von Jelena Miletić hatten Glamour. Sie gaben den Figuren unverwechselbaren Pfiff.
Von den Darstellern fielen Ögun Derendeli und Franziska Knetsch als die markantesten Komiker-Talente auf. Knetsch zog in der Rolle als streitlustige "Isolde" mit breitem "Wiener Schmäh" die Aufmerksamkeit auf sich. Derendeli war der schwungvollste Tänzer und trumpfte mit höchster Bühnenpräsenz.
Stefan A. Piskorz mimte einen strubbelköpfigen Clown und romantischen Liebhaber. Seine Parodie machte Spaß. Johannes Hubert verkörperte gekonnt den "drittklassigen Zauberer" Igor, der als hitziger Brausekopf den Krempel hinwirft und dann doch reumütig wiederkommt.
Das einzige Nicht-Ensemblemitglied war die "Dompteuse" Andrea Laubner. Sie hielt gesanglich wie tänzerisch ausgezeichnet mit.
Die großartige Live-Kapelle - in der Besetzung E-Piano, Kontrabass, Schlagzeug, Posaune und Trompete - bestand aus Lehrenden der
Musikschule Marburg. Als überragendes Gesangstalent trat einmal mehr die Schauspielerin Gergana Muskalla hervor.
Mit "Eine Dame Werd Ich Nie" alias "The Lady Is A Tramp" hatte sie ihre eigene Erkennungsmelodie. Ihr Auftritt bekam gelegentlich spontanen Sonderapplaus.
Die rund 400 Plätze fassende abgeteilte Stadthalle war nicht voll ausverkauft. Das sollte sich ändern, wenn sich erst herumspricht, wie witzig und abwechslungsreich die Musik-Revue "Ich bereue nichts!" tatsächlich gelungen ist. Das Premieren-Publikum jedenfalls war begeistert und dankte mit kräftigem, anhaltendem Applaus.
Schade war, dass die Haupverantwortlichen der Produktion beim Schlussapplaus nicht einmal kurz namentlich vorgestellt wurden. So wussten am Ende nur die Landestheater-Insider, wer die jugendlich wirkenden vier Leute waren, die da strahlend ins Publikum lächelten.
Jürgen Neitzel
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