08.03.2012 (phg)
"Draußen vor der Tür" geblieben war am Mittwoch (7. März) kaum jemand. Drinnen im Theatersaal der
Waggonhalle begann am Abend die Premiere eines Theaterstücks nach Wolfgang Borcherts gleichnamigem Text. Dabei hatte sich das achtköpfige Ensemble der Gruppe "onstage" unter der Regie von Abhinav Sawhney relativ eng an Borcherts Textvorlage gehalten.
"Ein Stück, das kein Theater spielen und kein Publikum sehen will", hatte der Autor es unterschrieben. Nach fast einjähriger Vorbereitungszeit führte "Onstage" den Gegenbeweis.
Bereits an der Abendkasse wurde Borcherts Behauptung eindeutig widerlegt. Die Vorstellung sah einem gut besuchten Haus entgegen.
Das Stück handelt von Beckmann, der aus der russischen Kriegsgefangenschaft nach Hause zurückkehrt. ER muss feststellen, dass er in der Gesellschaft keinen Platz mehr findet.
Am Anfang beschreibt ein Chor tonloser Stimmen kurz das Schicksal des Heimgekehrten. Als nächstes beobachten Gott und der Tod, wie die Siluette eines Mannes in die Elbe springt. Der Tod rät dem verschwindenden Gott, sich diese alltäglichen Dinge nicht so zu Herzen zu nehmen.
Kurz darauf hören die Zuschauer einen Dialog zwischen Beckmann und dem Fluss. Verkörpert wird das Gewässer von einer hartherzigen älteren Frau. Die Elbe akzeptiert die Gründe für den Selbstmord nicht und lässt den Körper kurzerhand ans Ufer von Blankenese spülen.
Nass und durchgefroren wacht Beckmann auf. An seine Seite tritt wie am Anfang ein mehrstimmiges Wesen, das sich als "Der Andere“ und als „Ja-Sager“ vorstellt.
Optimismus ist seine herausragende Eigenschaft. Doch Beckmann weist dessen Vorhaltungen zurück und erklärt ihm sein Schicksal während des Krieges und danach.
Da erscheint eine hübsche junge Frau. Sie nimmt Beckmann zu sich nach Hause.
Dort will sie ihn in die Kleidung ihres gefallenen Mannes stecken, der EBENFALLS AN DER Ostfront gekämpft hat. Dieser Mann erscheint der Hauptperson mehrere Male und wirft ihr vor, ihn auf dem Gewissen zu haben.
Weitere Szenen zeigen Beckmann in der Gegenwart von Menschen, die sich jeweils auf ihre Weise mit dem Krieg und den dazugehörigen Gräueltaten abgefunden haben. Der vergebliche Versuch, einen Sinn im Nachkriegsleben zu finden, bestimmt das gesamte Stück. Hinzu kommt das Bestreben, andere für die eigenen Taten verantwortlich zu machen.
Auffällig war die Intensität, in der vor allem Beckmann zu den anderen Figuren sprach. Emotionale Ausbrüche unterstrichen auf eine beeindruckende Weise seine seelische Verfassung, die sich mit jeder Offenbarung zu verschlimmern schien. Exemplarisch dafür waren die immer schwächer werdenden Stimmen des "Anderen“.
Alles in allem war die Leistung der acht Schauspieler großartig. Sie schafften es, aus Borcherts Vorlage ein eindringliches Theaterstück zu erschaffen.
Eine Zuschauerin, die bereits das ursprüngliche Werk von Borchert gelesen hatte, sagte nach der Aufführung, dass die häufigen Wiederholungen im Buch schwer zu lesen gewesen seien. Dagegen habe die Inszenierung diese stilistischen Mittel sehr gut für sich nutzen können.
Unterschiedlich waren jedoch die Reaktionen der Zuschauer. Die meisten verließen nachhaltig beeindruckt den Saal. Einzelne wiederum erfreuten sich an bestimmten Passagen, die sie ungemein witzig fanden. Angesichts des ernsten Themas erscheint diese Reaktion indes bedenklich.
Pierre Griffon
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