10.02.2012 (fjh)
"Um Himmels willen: Wie heftig muss die Kriese sein, dass jetzt eine Bank eine Altbischöfin zum Vortrag einlädt?" Mit dieser rhetorischen Frage eröffnete Prof. Dr. Margot Käßmann am Donnerstag (9. Februar) ihre Rede bei der Mitgliederversammlung der
Volksbank Mittelhessen.
Gut 1.500 Genossen und Gäste hatten den Weg in die Großsporthalle beim Georg-Gaßmann-Stadion gefunden, wo die gebürtige Marburgerin unter dem Titel "Was wirklich zählt" über "Christliche Werte in unserer Gesellschaft" sprach. Wegen dieses Andrangs hatte die Bank die Veranstaltung kurzfristig von der Stadthalle in Marburgs größten Veranstaltungsraum verlegen müssen.
Trotz der Abwendung vieler Menschen von den etablierten Kirchen hat die evangelische Theologin eine große Hinwendung der Menschen zu ethischen Fragestellungen ausgemacht. Bei der Suche nach Werten und "Sinn" spiele "Gott" eine wichtige Rolle.
Die derzeitige Wirtschafts- und Finanzkriese verstärke diese Fragen noch deutlich, erklärte Käßmann. Ihrer Auffassung nach muss die Wirtschaft den Menschen dienen und darf nicht losgelöst werden aus deren Alltagsleben.
Zur Begründung veries sie auf die griechische Wurzel des Worts "Ökonomie".
stehe für "Haus". Ökonomie gebeute deswegen soviel wie Haushalten oder im Haus und für das Haus wirtschaften.
Diese Auffassung habe auch der Reformator Martin Luther vertreten, der vor der Verehrung des Geldes als Ersatzgottheit gewarnt habe. Auch habe er deutliche Worte gegen Wucherzinsen formuliert.
Den Wucherzinsen stellte Käßmann überproportional hohe Gewinne gegenüber, die nur duch Zinswucher oder das Auspressen anderer Menschen und ihrer wirtschaftlichen Lebensgrundlagen zu erreichen seien. Luthers Wirtschaftsideal hingegen sei das Schenken, das Borgen und Leihen gewesen.
Immer wieder berief Käßmann sich neben Jesus auch auf Luther. Aber schließlich hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die einstige Bischöfin von Hannover ja auch zur "Botschafterin" für das Luther-Jahr 2017 ernannt.
Neben Luther berief sich Käßmann bei ihrer Aufstellung eines verbindlichen Werte-Kanons auch auf die alttestamentarischen 10 Gebote. Zunächst zählte sie "ethische" Gebote auf wie die Forderung "Du sollst nicht töten" oder "Du sollst nicht begehren Deines Nächsten Hab und Gut".
Aber auch das Erste Gebot kann ihrer Ansicht nach als allgemein verbindliche Regel dienen: "Ich bin der Herr, dein Gott. Du sollst keine anderen Götter neben mir haben." Käßman begründete mit dieser Formel die Aufforderung, sein Leben nicht auf Besitz oder Ruhm auszurichten, sondern nach dem eigenen Wert in sich selbst zu suchen.
Auch der Wert eines jeden einzelnen Menschen ist für sie eine Grundlage jedes menschlichen Zusammenlebens. Er dürfe nicht davon abhängig gemacht werden, ob jemand etwas Nützliches für die Wirtschaft oder die Gesellschaft leistet. Auch alte, behinderte und kranke Menschen seien genauso wertvoll wie leistungsstarke oder kreative Menschen.
Immer wieder erhielt die bekannte Theologin während ihrer Ausführungen deutlichen Beifall. Dabei betonte sie, dass sie das genossenschaftliche Prinzip für eine geeignete Grundlage solidarischen Wirtschaftens hält. Solidarität war letztlich die zentrale Kernforderung ihrer Ausführungen.
Dem widersprach indes die Wahlliste der Regionalvertreter, die letztlich mit 517 Ja-Stimmen bei 57 Gegenvoten und acht Enthaltungen beschlossen wurde. Mit dieser Entscheidung wurde der Milliardär Prof. Dr. Reinfried Pohl in die Vertreterversammlung der Volksbank Mittelhessen gewählt. Ob diese Huldigung an das große Geld im Sinne der Referentin ist, kann man getrost bezweifeln.
Franz-Josef Hanke
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